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Illustration Interview

„Es ist bereichernd, weiter am Leben teilzuhaben“

Viele Menschen arbeiten auch im Rentenalter weiter. Wie man den passenden Job findet und was Rentnerinnen und Rentner wirklich machen wollen, weiß Cornelia Sperling vom Verein “Mäuse für Ältere”.

Viele Rentnerinnen und Rentner arbeiten auch nach dem Erreichen der Regelaltersgrenze weiter. So ging es auch Cornelia Sperling, der Gründerin des Essener Vereins „Mäuse für Ältere“. Sie sieht ihre Aufgabe vor allem darin, gemeinsam mit älteren Arbeitssuchenden herauszufinden, was sie in ihrer letzten aktiven Lebensphase wirklich machen wollen und wie man das verwirklichen kann.

Arbeitswelt-PortalFrau Sperling, Sie werden im März 74 Jahre alt. Warum arbeiten Sie noch und was machen Sie genau?

Cornelia Sperling: Arbeit im Rentenalter kann ja ein bisschen anders aussehen, als wenn man noch voll erwerbstätig ist. Man hat den Luxus, sich mehr aussuchen zu können, was man spannend findet oder was zur Entwicklung der eigenen Persönlichkeit beiträgt oder einen bereichert. 

Mäuse für Ältere 5-jähriges Bestehen
© Andreas Fritsche - Mäuse für Ältere

Ich habe früher eine Kommunikationsagentur mitgeleitet, die Kongresse organisiert hat. Dort haben sich internationale Kontakte ergeben, die mich faszinierten. Jetzt im Rentenalter bin ich weiter für internationale Veranstaltungen aktiv. Dieses Jahr werde ich beispielsweise für ein Partnerschafts-Treffen nach Namibia und Botswana fahren. Das ist nicht immer bezahlte Arbeit, aber wenn wir Gelder für ein Projekt akquirieren – etwa bei Engagement Global oder bei der Stiftung Umwelt und Entwicklung -, dann wird bei einer Zusage auch meine Arbeit bezahlt. So erziele ich ein zusätzliches Einkommen zu meiner kleinen Rente, die vor acht Jahren 870 Euro monatlich betrug und jetzt bei 1.168 Euro liegt. Meine Rente allein ist nicht ausreichend für einen einigermaßen angemessenen Lebensstandard, der auch noch Bedürfnisse wie Reisen oder anderes abdecken soll. 

Verein „Mäuse für Ältere“

Arbeitswelt-PortalSie sind außerdem aktiv im Verein „Mäuse für Ältere“. Warum haben Sie diese Initiative gegründet?

Sperling: Als ich vor zehn Jahren kurz vor dem Renteneintritt war, konnte ich mir nicht vorstellen, einfach aufzuhören und im Liegestuhl zu liegen. Da habe ich mich dann mit Wolfgang Nötzold zusammengetan, der auch neben der Rente gearbeitet hat, und „Mäuse für Ältere“ gegründet - zunächst als Initiative, seit 2020 sind wir ein Verein.

Arbeitswelt-PortalWas hat sich seitdem verändert? 

Sperling: Vor zehn Jahren war das noch ein bisschen anders als heute, da war das Arbeiten im Rentenalter gesellschaftlich noch nicht so akzeptiert und es wurde auch nicht viel darüber gesprochen. Rentnerinnen und Rentner, die arbeiteten, hatten damals schon ein bisschen diesen Makel: „Oh du Arme, du musst noch arbeiten.“

Arbeitswelt-PortalWelche Form der Unterstützung leistet Ihr Verein?

Sperling: „Mäuse für Ältere“ bietet ein Forum für den Austausch für Menschen im Rentenalter, die sich Fragen zur weiteren Erwerbstätigkeit oder Beschäftigung stellen: Wie geht das mit dem Arbeiten? Wie findet man raus, was man wirklich machen will? Und wie kann man sich auch wieder von ungeliebten Arbeiten trennen und nicht so loyal sein, wie man es im früheren Arbeitsleben war? Oder wie geht man mit chronischen Krankheiten um, wenn man weiterhin aktiv sein will? Viele, die jahrzehntelang angestellt waren, wissen auch nicht, wie man mit Honoraren umgeht, wenn man freiberuflich arbeitet, oder wie man sich selbstständig macht.

In Deutschland arbeiten immer mehr Rentner

Arbeitswelt-Portal: In Deutschland arbeiten immer mehr Rentner. Wie kommt das?

Sperling: Das hat verschiedene Gründe, zum Beispiel wirtschaftliche: Ein immer größerer Prozentsatz von Menschen bleibt nicht 40 oder 45 Jahre im gleichen Arbeitsverhältnis, sondern macht auch mal Pausen, orientiert sich um, fängt etwas Neues an, betreut Kinder. Immer mehr Menschen entscheiden sich dafür, nicht länger in unbefriedigenden Arbeitsverhältnissen zu bleiben. Im Erwerbsleben kommt es also zunehmend zu Lücken. Das Rentensystem ist aber darauf angelegt, dass man möglichst beständig arbeitet. Und sobald man irgendwelche Umbrüche hat oder auch aus eigener Entscheidung Umwege geht, die zu einem geringeren Einkommen oder sogar zu gar keinem unmittelbaren Verdienst führen, hat man Versorgungslücken in der Rente. Das schlägt sich vor bei allem bei Frauen, die sich dafür entscheiden, dass die Kinder eine Zeitlang im Vordergrund stehen, in sehr niedrigen Renten nieder.

Arbeitswelt-Portal: Welche anderen Gründe gibt es noch für Ältere, zu arbeiten?

Sperling: Das Stereotyp, dass man als Rentnerin oder Rentner endlich in den ersehnten Ruhestand geht und sich als Oma oder Opa nur noch um die Enkel zu kümmern hat, hat sich verändert. Heutzutage gibt es viele Menschen, die auch gute Erfahrungen mit Arbeit haben. Und warum soll man dann mit 65 oder 67 Jahren aufhören?

Viele, die zu uns kommen, sagen: „Ich bin jetzt ein Jahr in Rente und habe mir viele Wünsche erfüllt und alle Reisen gemacht, die ich machen wollte. Aber irgendwie reicht mir das nicht, mir fällt die Decke auf den Kopf. Jetzt will ich doch mal gucken, was kann ich denn noch machen?“

Arbeitswelt-Portal: Welche Arbeitsverhältnisse vermitteln Sie überwiegend?

Sperling: Genau genommen vermitteln wir gar keine Jobs, wir bieten in erster Linie Gesprächskreise und Workshops an. Für unsere Jobbörse durchsuchen wir lediglich die Stellenanzeigen in Anzeigenblättern und digitalen Medien und präsentieren passende Angebote auf unserer Internetseite. Wir wollen und können keine Agentur für Arbeit für Rentnerinnen und Rentner werden. 

Arbeitswelt-Portal: Wie viele Stunden arbeiten denn die Rentnerinnen und Rentner im Schnitt in der Woche?

Sperling: Die wenigsten arbeiten noch 30 bis 40 Stunden in der Woche, üblich sind zehn bis 20 Stunden. Das klassische Arbeitsverhältnis sind Minijobs. Die zweite größere Gruppe sind freiberuflich Tätige und Selbstständige.

Arbeitswelt-Portal: Mit welchen konkreten Fragen oder Problemen kommen die an Arbeit interessierten Rentner zu Ihnen?

Sperling: Zuerst gefragt wird in der Regel nach Hinweisen für gute Jobs. Die sollen möglichst flexibel und nicht langweilig sein und soziale Kontakte ermöglichen. Und dann stellt sich oft heraus, dass eigentlich ein anderer Fragenkomplex sehr wichtig ist: Was will ich überhaupt noch arbeiten aufgrund der beruflichen Erfahrung, die ich habe? Es gibt Menschen, zum Beispiel viele Sozialarbeiter oder Lehrerinnen, die sagen: In diesem Bereich möchte ich auf keinen Fall mehr tätig sein, weil ich keine Mitverantwortung mehr für Kinder oder andere Gruppen tragen möchte. 

Oft haben die Älteren sehr wenig Vorstellungen davon, was sie denn jetzt beruflich machen können. Das herauszufinden, was man selber noch will in dieser letzten aktiven Lebensphase und wie man das verwirklichen kann, das ist deutlich komplexer, als einfach nur einen irgendeinen Job als Gärtnerin oder Fahrer zu suchen, bei dem man noch 538 Euro steuerfrei im Monat dazu verdienen kann.

Arbeitswelt-PortalIn welchem Segment gibt es noch ganz viel Potenzial für Ältere, sich zu engagieren?

Sperling: Vor allem im sozialen Bereich: Viele Ganztagsschulen suchen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Nachmittagsbetreuung. Auch im Gesundheitsbereich gibt es Bedarf – angefangen von der Betreuung behinderter Menschen bis hin zu pflegerischen Aufgaben. Und manchmal geht es schlicht um eine Begleitung im Alltag: zum Einkaufen oder auch mal ins Theater. Auch Fahrtätigkeiten sind gefragt.

Arbeitswelt-PortalSie beraten auch Rentner, die sich selbstständig machen wollen. Ist das eine große Gruppe?

Sperling: Nein. Auch zu unseren Gründungsberatungsveranstaltungen kommen immer nur sehr wenige Interessenten. Ich erkläre mir das damit, dass diejenigen, die eine Selbstständigkeit in einem größeren Umfang aufbauen wollen, wissen, wo sie sich Unterstützung holen können und nicht unbedingt auf unsere Initiative angewiesen sind.

Zu uns kommen eher diejenigen, die nicht so richtig wissen, wie man einen Job findet und mit den Widerständen umgeht, die es auf dem Arbeitsmarkt gibt. Es gibt einfach noch total viele Vorurteile bei Arbeitgebern, trotz der Personalprobleme. Denn wenn man sich mit 73 oder 74 Jahren telefonisch irgendwo bewirbt und sein Alter angibt, dann ist das Gespräch an der Stelle in der Regel schon zu Ende. Sobald man über 70 Jahre ist, sagen die meisten: „So Alte wollen wir nicht, die können das nicht oder fallen immer aus.“ Im direkten Kontakt sieht das dann glücklicherweise anders. Wenn ich etwas verwirklichen will, muss ich nun mal überzeugen. Als älterer Mensch weiter am Leben teilzuhaben, meine Erfahrungen einzubringen und durch Arbeit Veränderungen anzustoßen, ist so bereichernd, dass sich Kämpfen lohnt.

  • Der Verein “Mäuse für Ältere” hat sich im Jahr 2014 als offener Gesprächskreis für alle, die neben der Rente arbeiten wollen und/oder müssen gegründet. Neben dem Austausch von Informationen und Erfahrungen zum Thema betreibt der Verein inzwischen auf der Homepage www.mäusefürältere.de auch eine Jobbörse mit Arbeitsangeboten für Ältere bzw. Rentnerinnen und Rentner. 

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