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„Es gibt einen fundamentalen Konflikt zwischen KI und Journalismus“

ChatGPT kann Infos zusammenstellen und ganze Texte schreiben. Wie stark beeinflusst das die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten? Der Wirtschaftsjournalist Patrick Bernau, der sich mit den Möglichkeiten von Künstlicher Intelligenz (KI  ) auseinandersetzt, sieht eine zentrale Hürde für den vollständigen Durchbruch von KI  in den Redaktionen – zumindest noch.

ChatGPT kann Infos zusammenstellen und ganze Texte schreiben. Wie stark beeinflusst das die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten? Der Wirtschaftsjournalist Patrick Bernau, der sich mit den Möglichkeiten von Künstlicher Intelligenz (KI  ) auseinandersetzt, sieht eine zentrale Hürde für den vollständigen Durchbruch von KI  in den Redaktionen – zumindest noch. 

Arbeitswelt-Portal: Für welche Tätigkeiten wird KI im Journalismus schon eingesetzt?

Patrick Bernau: Es gibt einzelne Redaktionen, die ganze Beiträge von KI  schreiben lassen und nur die Umsetzung überwachen. Oder die Printseiten von KI  layouten lassen. Das ist eine Minderheit – und das aus gutem Grund. KI  ist dafür in der Breite noch nicht richtig geeignet. Für kleinere Arbeitsschritte wird sie aber in vielen Redaktionen schon eingesetzt. Fragen sammeln, Themen finden, Interview-Transkripte erstellen – die Technologie kann Journalistinnen und Journalisten bei vielem helfen. Fehlerfrei ist sie aber nicht. Transkripte zum Beispiel muss man nochmal ganz durchgehen und korrigieren. Ich spare etwa die Hälfte der Zeit, die ich früher brauchte, um Audioaufnahmen selbst abzutippen.  

© FAZ Anton Vester - Bernau Patrick

KI im Journalismus

Arbeitswelt-Portal: Beobachten Sie einen systematischen Einsatz von KI in Redaktionen, oder experimentieren einzelne Journalistinnen und Journalisten eher individuell damit?

Bernau: Es passiert beides. Redaktionsleitungen befassen sich zum Beispiel damit, bestimmte Tools für alle zur Verfügung zu stellen und entsprechend Verträge mit den Entwicklern auszuhandeln und Lizenzen zu bekommen. Gleichzeitig setzen viele Kollegen sich damit auf eigene Faust auseinander. Es gibt bislang aber einen fundamentalen Konflikt zwischen KI  und Journalismus.

Arbeitswelt-Portal: Welchen?

BernauKI  sucht das Wahrscheinliche, also die wahrscheinlichste Antwort auf eine Frage. Journalisten suchen das Gegenteil: das Unerwartete, das Neue. Ich habe noch kein großes Sprachmodell gesehen, das diese Hürde überwindet. Das begrenzt den Einsatz von KI  im Journalismus im Moment fundamental.

Zwei Balken zeigen auf einer Skala von eins bis zehn, wie stark KI den Journalismus nach Einschätzung des Journalisten Patrick Bernau schon prägt (1,5) und in 20 Jahren prägen wird (8).

Welche Aufgaben wird KI vollständig oder weitgehend übernehmen?

Arbeitswelt-PortalUnd in Zukunft? Welche Aufgaben wird KI vollständig oder weitgehend übernehmen?

Bernau: Wir sind kurz davor, dass sie die Kontrolle von Rechtschreibung und Grammatik weitgehend übernehmen und auch Synonyme anbieten kann. Oder aus bestehenden Texte neue machen kann, zum Beispiel Zusammenfassungen. Das setzen wir jetzt schon bei ausgewählten Beiträgen in unserer Nachrichten-App ein. Ich kann mir auch vorstellen, dass man Chatbots eines Tages auch seine gesammelten Rechercheergebnisse hinwirft und diese daraus einen brauchbaren Text machen. Die richtig kreativen Beiträge, an die man sich lange erinnert, werden allerdings noch eine Weile von Hand geschrieben werden.

Arbeitswelt-PortalDann würde eine der Hauptaufgaben von Journalistinnen und Journalisten – das Schreiben von Texten – in vielen Fällen wegfallen.

Bernau: Der Input des Menschen wäre aber noch ganz wesentlich. Er muss das Material liefern und am Ende prüfen, ob alles stimmt. Im Moment ist es so: Wenn KI  nicht langweilig schreiben soll, muss man die sogenannte Halluzinationsrate steigern. Das bedeutet, dass das System phantasievoller wird – aber eher auch die Realität verlässt. Texte mit Erfundenem anzureichern, widerspricht natürlich der journalistischen Praxis. Wir bei der Frankfurter Allgemeinen haben uns verpflichtet, keine Originalbeiträge von KI  schreiben zu lassen.  

Arbeitswelt-PortalWie ist es mit der Recherche? Auch das ist eine Kerntätigkeit von Journalistinnen und Journalisten.

BernauKI  hilft uns heute schon bei der Recherche. Ein Beispiel ist die Verbindung des Browsers Bing mit dem Chatbot ChatGPT: Das ermöglicht, in einer unübersichtlichen Trefferliste schneller fündig zu werden. Oder Anfragen zu stellen, die eine normale Suchmaschine überfordern. Ich habe ChatGPT zum Beispiel im Zusammenhang mit dem umstrittenen „Heizungsverbot“ gefragt, welche anderen Gesetze es gibt, die Verbote heißen, obwohl nicht alles verboten ist – so wie das Heizungsverbot nicht alle Heizungen verbietet.

Arbeitswelt-Portal: Und?

Bernau: Die KI  hat in 30 Sekunden eine ganze Liste geliefert: das Tanzverbot, das Plastiktütenverbot, das Rauchverbot und einige mehr. Auch Datensätze kann ChatGPT analysieren und damit einfache Arbeiten in Excel beschleunigen. Was bislang aber zum Beispiel noch nicht zuverlässig funktioniert, ist, dass die KI  lange PDF-Dateien zusammenfasst. Generell ist fraglich, wie steil die Lernkurve künftig ist. Viel mehr Trainingsdaten als jetzt können gar nicht zur Verfügung stehen – das öffentliche Internet ist weitgehend abgegrast, und jetzt kommen viele neue Texte aus der Feder der KI  .

Patrick Bernau

FAZ

Patrick Bernau, 42 Jahre alt, leitet die Ressorts Wirtschaft und Wert bei der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Er ist Mitglied der KI  -Taskforce der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.  

Arbeitswelt-PortalWelche Aufgaben werden Journalisten und Journalistinnen künftig definitiv noch selbst erledigen?

Bernau: Womöglich wird KI  irgendwann auch unerwartete Antworten geben können und sehr kreative Ideen entwickeln. Ich halte es aber für wahrscheinlich, dass der Journalist relevant bleibt, um Beziehungen zu anderen Personen zu pflegen – zu netzwerken, um an nicht-öffentliche Informationen zu kommen. Das ist nötig, um die Wächterfunktion der Medien zu erfüllen, also gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Probleme aufzudecken. Aber auch hier kann KI  beitragen: nämlich Infos aus Daten herausfiltern, die so tief vergraben sind, dass sie bislang niemand gefunden hat, vielleicht eines Tages auch mal Faktenchecks machen. 

Welche Fähigkeiten müssen Menschen im Journalismus künftig haben?

Arbeitswelt-Portal: Welche Fähigkeiten müssen Menschen im Journalismus künftig haben angesichts der KI-bedingten Veränderungen?

Bernau: Sie brauchen Neugier auf neue Arbeitsweisen, denn der Beruf wird sich verändern. Sie brauchen Empathie, um Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen. In Sachen KI  ist wahrscheinlich ein Grundverständnis hilfreich, welche KI  -Tools – insbesondere Sprachmodelle – am Markt sind. 

Arbeitswelt-Portal:Wie ist es mit Prompten – also der Fähigkeit, konkrete Anweisungen an Chatbots zu formulieren?

Bernau: Das ist aus meiner Sicht für die meisten Kollegen nicht die allerwichtigste Fähigkeit. Es gibt zwar viele Weiterbildungen und Prompt-Tipps für Journalisten. Aber mir scheint, dass ich in einem normalen Dialog mit dem Chatbot Ergebnisse bekomme, die nicht viel schlechter sind. 

Welche Gefahren birgt KI für den Journalismus?

Arbeitswelt-Portal: Welche Gefahren birgt KI für Journalistinnen und Journalisten?

BernauKI  kann Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt haben, im Moment trifft das zum Beispiel Layouter, später vielleicht Nachrichtenredakteure. Aber: „Es ist nicht KI  , die dir den Job klaut – sondern der Mensch, der sie benutzt“, hat der Ökonom Richard Baldwin gesagt.  In der Geschichte sind nur sehr wenige Berufe wirklich ausgestorben, zum Beispiel der Videokassettenverleiher und der Aufzugführer. 

Arbeitswelt-Portal: Wie sieht es mit der zunehmenden Gefahr von Fake News aus? Mit KI könnten zum Beispiel Verschwörungstheoretiker täuschend echt aussehende News-Seiten oder Texte nachbauen, um Stimmung zu machen. Und für Journalistinnen und Journalisten wird es schwieriger, Urheber und Absender von Informationen auf Echtheit zu prüfen.  

Bernau: Je mehr Fake News unterwegs sind, umso wichtiger werden klassische journalistische Tugenden: die Recherche vor Ort und die Verifikation von Informationen. Wir alle dürfen uns weniger auf soziale Medien verlassen – der Journalismus ebenso wie die ganze Gesellschaft. Das kann auch eine Chance für den Journalismus sein, wenn er es richtig macht. 

Wie wird sich der Berufsalltag in 30 Jahren durch KI verändert haben?

Arbeitswelt-Portal: Wie wird sich der Berufsalltag in 30 Jahren durch KI verändert haben? 

Bernau: Journalistinnen und Journalisten werden immer noch mit Menschen sprechen, um Infos von ihnen zu bekommen. Diese Infos werden sie wahrscheinlich weiterhin in eine Art Computer eingeben – wobei die KI  vielleicht auch direkt mithört und transkribiert. Schauen wir einmal zurück: Vor 30 Jahren saßen die meisten Journalisten vor Röhrenmonitoren am Schreibtisch und hatten kein Internet. Heute haben wir Smartphones in der Tasche, auf denen wir große Teile der Arbeit erledigen können. Ähnlich schnell könnte die Entwicklung in den nächsten 30 Jahren auch gehen sein.

Arbeitswelt-Portal: Würden Sie jungen Menschen noch raten, Journalistin oder Journalist zu werden?

Bernau: Eindeutig ja. Es ist ein superspannendes Berufsfeld – inhaltlich und auch, was die Art der Arbeit angeht. Man kann sich ständig neu erfinden. KI  wird Journalisten nicht überflüssig machen und nicht fundamental anders beeinflussen als andere Akademiker auch.  

 

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