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Illustration Interview

„Am Ende ist es eine Machtfrage“

Plattformarbeit  ist in aller Munde. Was bedeuten die digitalen Arbeitsformen für Beschäftigte und Unternehmen? Ein Interview mit Oliver Suchy vom DGB.

Digitale Arbeitsformen haben sich in den letzten Jahren etabliert und werden sich weiter ausbreiten. Plattformarbeit  ist aktuell jedoch durch unklare soziale Absicherung der Beschäftigten gekennzeichnet, denn es fehlt an Vorgaben, um gute Arbeitsbedingungen zu sichern. Wie lässt sich Plattformarbeit  vor diesem Hintergrund bewerten? Welche Faktoren machen sie für Betriebe und Beschäftigte attraktiv? Unser Interview mit Oliver Suchy vom Deutschen Gewerkschaftsbund gibt Antworten auf diese und weitere Fragen.

Plattformarbeit polarisiert. Die einen sehen darin eine innovative, neue Arbeitsform für eine „digitale Boheme“, die anderen weisen auf die Herausbildung eines „digitalen Prekariats“ hin. Wie ist Ihre Bewertung?

Oliver Suchy: Es gibt beides. Doch das ist meines Erachtens nicht der Grund für die Polarisierung. Digitale Plattformen bieten tolle Möglichkeiten für innovative Projekte, schaffen neue Formen für Kollaborationen und können das Knowhow in Unternehmen erweitern. Auf der anderen Seite wird versucht, Arbeit – egal ob vollständig digital, hybrid oder nur digital gesteuert vor Ort – zu fragmentieren, also neu zu organisieren im Sinne einer ‚distributed workforce‘. Die kommerziellen Plattformen sind dafür ein mächtiges Tool. Wichtiger ist allerdings, was hinter dem Vorhang steckt – und das sind milliardenschwere Investoren, die darauf spekulieren, tatsächlich ganze Märkte umzukrempeln. Ein wesentlicher Aspekt ist dabei, dass Rechte von Arbeitnehmer/-innen ausgehebelt werden sollen und damit tatsächlich die Gefahr der systematischen Prekarisierung in neuer Qualität aufgekommen ist.

Oliver Suchy
Oliver Suchy

Wie wird sich Plattformarbeit in Deutschland in Zukunft entwickeln?

Suchy: Natürlich ist es schwierig, die Zukunft vorherzusagen, doch es gibt erfreuliche Entwicklungen. Viele Anbieter im Bereich der Gigwork  haben ihr Geschäftsmodell inzwischen umgestellt. Die Gigworker/-innen werden vielfach nicht mehr wie anfangs als angebliche Selbständige gehalten, sondern sind regulär angestellt – wenn auch oft befristet und bei bescheidener Bezahlung. Außerdem ist das Thema bzw. die dahinter liegende Problematik in der Politik angekommen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat dazu Eckpunkte vorgelegt und auch in der EU ist Bewegung in die Debatte gekommen. Dazu haben Gerichte, wie im letzten Oktober das Bundesarbeitsgericht (BAG), wegweisende und moderne Urteile gesprochen – insbesondere zur Frage der arbeitsrechtlichen Weisung qua algorithmischer Steuerung und Kontrolle.

Wie bewerten Sie das Risiko einer Verdrängung abhängiger Beschäftigung durch Plattformarbeit?

Suchy: Die entscheidende Frage ist, was wir unter Plattformarbeit  verstehen. Crowd- und Gigwork haben sich etabliert und werden sich weiter ausbreiten, meines Erachtens aber in regulierter Form und damit als Ergänzung. Am Ende ist das aber eine Machtfrage. Verstehen wir Plattformen nämlich als digitale Ökosysteme, die kompromisslos auf monopolartige Marktbeherrschung setzen, stellt sich die Beschäftigungsfragen in „klassischen“ Bereichen ganz anders. Auch die Plattformökonomie  braucht Regulierung und Gestaltung. Auf EU-Ebene hat die Diskussion über ‚Digital Service Act‘ begonnen. Aber hier ist noch viel Luft nach oben, um faire Regeln und fairen Wettbewerb in der Plattformwirtschaft zu schaffen.

Welche Faktoren machen Plattformarbeit für Betriebe und Erwerbstätige attraktiv?

Suchy: Auch hier kommt es auf die Form an. Es gibt nicht „die“ eine Plattformarbeit  , sondern ein breites Spektrum mit unterschiedlichen Impacts. Dabei geht es um Flexibilität von hochqualifizierten Crowdworker/-innen, die sich zum Beispiel in der IT als Selbständige im digitalen Raum bewegen über Freelancer im Kreativbereich bis zu Riders, also Dienstleister/-innen vor Ort, die auf diese prekären Jobs angewiesen sind. Finanzstarke Plattformanbieter versuchen, in die Wertschöpfung einzugreifen, diese zu steuern und so Märkte zu kapern. Andere Unternehmen suchen im Bereich Crowdwork  eher nach innovativen Impulsen.

Oliver Suchy

Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB)

Oliver Suchy leitet die Abteilung „Digitale Arbeitswelten und Arbeitsweltberichterstattung“ beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Er ist Mitglied der Plattformen „Lernende Systeme“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und zur „Digitalen Arbeitswelt“ im Bundesministerium für Arbeit und Soziales sowie Mitglied im Steuerkreis der „Initiative Neue Qualität der Arbeit“ (INQA).

Sind die Rechte der Erwerbstätigen auf Plattformen ausreichend geschützt? Wie sähe eine aus Ihrer Sicht nachhaltige Plattformstrategie aus?

Suchy: Der DGB hat dazu im März 2021 ein Positionspapier (DGB-Position Plattformarbeit | DGB) vorgelegt. Zu den Rechten von Arbeitnehmer/-innen hat das BAG im Oktober 2020 ein klares Urteil gesprochen: Damit wurde bestätigt, dass Plattformerwerbstätige als Arbeitnehmer/-innen einzustufen sind, wenn sie in die Organisationsstrukturen eingebunden sind – und zwar ausdrücklich unter Berücksichtigung digitaler oder algorithmischer Steuerungsinstrumente als mögliche Form der arbeitsrechtlichen Weisung. Dies gilt es nun politisch umzusetzen. Wir wollen dafür u. a. mehr Transparenz für die Wirkungsweisen der Plattformen, mehr Schutz vor Willkür und eine Umkehr der Beweislast für den Nachweis über die Beschäftigungsform. Das würde den nötigen Druck auslösen. Auch Mitbestimmung  beim Crowdsourcing  und die Stärkung der Tarifbindung sind hier wichtige Themen. So sollten die Möglichkeiten zum Abschluss von Tarifverträgen, auch für Arbeitnehmerähnliche und Soloselbständige erleichtert werden. Schließlich brauchen wir auch Mindestentgeltbedingungen für Soloselbständige.

Führt die Auslagerung von Tätigkeiten zu einer veränderten Arbeitsorganisation bei den eigenen Beschäftigten?

Suchy: Aber ja. Die entscheidende Frage beim Crowdsourcing ist allerdings, mit welchem Ziel solche Umstrukturierungen verbunden sind. Wird die Crowd als Innovator genutzt, also zur Kollaboration oder entsteht neuer kompetitiver Druck im Betrieb bzw. kommt es zu Auslagerungen? Dies gilt es auszutarieren und auszuhandeln. Deshalb ist eine Stärkung der Mitbestimmung auch an dieser Stelle so wichtig. Ein gutes Bespiel für Regelungen zu „lebenden Betriebsvereinbarungen“ bei internem Crowdsourcing zeigt eine innovative Betriebsvereinbarung bei der GASAG. Sie biete einen Weg für ein Verhandlungsmodell, mit dem sich Veränderungen von der Unternehmensleitung und den Betriebsräten auf Augenhöhe aushandeln lassen.

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