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Algorithmisches Management als Handlungsfeld für Betriebsparteien, Gewerkschaften und Politik

Kontrolle, Steuerung oder Tracking von Beschäftigten – für Algorithmisches Management gibt es viele Einsatzgebiete. Risiken und Potenziale der KI  -basierten Technologien erläutert Prof. Dr. Johanna Wenckebach, wissenschaftliche Direktorin des Hugo Sinzheimer Instituts für Arbeits- und Sozialrecht (HSI) der Hans-Böckler-Stiftung, in ihrem Gastbeitrag.

  • Wie kann Künstliche Intelligenz zur Schaffung von guten Arbeitsbedingungen genutzt werden?  
  • Dieser Frage ging auf Einladung von Arbeitsminister Hubertus Heil eine Arbeitsgruppe nach, um Handlungsbedarfe zu analysieren und -optionen zu entwickeln 
  • Prof. Dr. Johanna Wenckebach, wissenschaftliche Direktorin des Hugo Sinzheimer Instituts für Arbeits- und Sozialrecht der Hans-Böckler-Stiftung, hat die Gruppe geleitet und erläutert in ihrem Gastbeitrag, welche Risiken und Potenziale sie beim Einsatz von KI-basiertem Management in der Arbeitswelt sieht 
Johanna Wenckebach
© Prof. Dr. Johanna Wenckebach

Während in den Medien aktuell angebliche Weltuntergangsszenarien durch den Einsatz von so genannter Künstlicher Intelligenz (KI) diskutiert werden, ging es in einer Arbeitsgruppe beim Bundesarbeitsministerium um inzwischen für Beschäftigte und Unternehmen fast alltägliche, jedenfalls sehr konkrete Themen im Zusammenhang mit dem Einsatz von algorithmischen Systemen. Leitfrage war, wie der Einsatz von Algorithmen für Management von Arbeit und Beschäftigten für gute Arbeitsbedingungen genutzt werden kann. Und dieser konkreten Frage sollte mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden als dem Schrecken fernliegender Dystopien vom Verlust der Kontrolle an Maschinen oder aber Utopien von einem Goldenen Zeitalter, das KI  angeblich ermöglichen könnte.

Arbeitsgruppe zu Algorithmischem Management

Die Arbeitsgruppe zu Algorithmischem Management

Auf Einladung von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil und dem Ersten Vorsitzenden der IG Metall, Jörg Hofmann, ist im Vorfeld zum Digitalgipfel eine Arbeitsgruppe zur Gestaltung der Voraussetzungen für eine soziale und nachhaltige Datennutzung im Interesse des Gemeinwohls zusammengekommen, die „Algorithmisches Management“ in den Blick genommen hat. Um die Handlungsfelder für die Gestaltung der Arbeitswelt, die sich aus der Anwendung dieser neuen Technik ergeben, frühzeitig zu identifizieren, sind hier Expertinnen und Experten aus Forschung, Zivilgesellschaft, Gewerkschaften, Personal- und Betriebsräten, Unternehmen aus Industrie und Plattformwirtschaft sowie öffentlicher Verwaltung miteinander ins Gespräch gekommen. Denn in all diesen Branchen kommt Algorithmisches Management bereits zum Einsatz. Ziel war es, zentrale Handlungsfelder zu benennen und Ansätze einer guten Praxis zu identifizieren. Dies ist der Gruppe gelungen – trotz durchaus sehr unterschiedlicher Perspektiven auf das Thema. Die Ergebnisse der Arbeitsgruppe sind ausführlich hier veröffentlicht. Herausgearbeitet werden konnten sowohl Szenarien, die von Betriebs- und Tarifpartnern sowie durch politisches Handeln vermieden werden sollten, als auch Beispiele guter Praxis, die zeigen, dass ein demokratischer Einsatz digitaler Technologien möglich ist, der menschliche Bedürfnisse nach guter Arbeit mit unternehmerischen Zielen vereinbart. Dieser Text gibt nicht die Position der gesamten Arbeitsgruppe, sondern ausschließlich die Meinung der Autorin wieder. 

Konkrete Praxisbeispiele

Konkrete Praxisbeispiele statt extremer Ängste und überzogener Erwartungen 

Gemeinsamer Ausgangspunkt aller Beteiligter der Gruppe war die Zielvorstellung, Algorithmisches Management als eine Digitaltechnik zu nutzen, die Arbeitsprozesse effizienter gestaltet und dadurch Produktivität und die Qualität von Arbeit explizit auch im Interesse der Beschäftigten erhöhen kann. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels und zunehmend verdichteter Arbeit. Nun hatte die Hoffnung auf „nützliche Maschinen zur Erleichterung und Abkürzung der Arbeit"​ bereits Adam Smith 1776, als sich die erste industrielle Revolution in Gang setzte. Und während Jeff Bezos davon ausgeht, dank KI  stünde die Menschheit „am Anfang einer goldenen Epoche“, sind die Schlagzeilen häufig von der Frage „Arbeitslos durch Roboter – was tun, wenn die Maschine übernimmt?“ geprägt (z.B. hier). Die Arbeitsgruppe hat sich bemüht, zwischen diesen Extremen nach konkreten Beispielen für gute Lösungen in der Praxis zu suchen. Denn sie sind bereits jetzt gefragt. 

Johanna Wenckebach

Johanna Wenckebach

HSI

Prof. Dr. Johanna Wenckebach leitet als wissenschaftliche Direktorin das Hugo Sinzheimer Institut für Arbeits- und Sozialrecht (HSI) der Hans-Böckler-Stiftung. Zudem ist sie Professorin für Arbeitsrecht an der University of Labour, Frankfurt am Main.  

Was ist Algorithmisches Management? 

Was ist Algorithmisches Management? 

Erschwert wurde die auf wenige Sitzungen begrenzte Arbeit der Gruppe dadurch, dass es noch gar kein allgemeingültiges Verständnis davon gibt, was Algorithmisches Management eigentlich ist. Weder gibt es eine einheitliche wissenschaftliche Formel, auf eine gesetzliche Definition kann erst recht nicht zurückgegriffen werden. Seitens der Wissenschaft (etwa Möhlmann & Zalmanson, 2017) wird Algorithmisches Management beschrieben als Praktiken der Kontrolle und Steuerung von einer Vielzahl​ an Arbeiter*innen mithilfe von Softwarealgorithmen. Charakteristisch ist demnach ein kontinuierliches Tracking von Arbeitnehmer*innen (zum Beispiel per App)​, die darauf basierende kontinuierliche Evaluation​ von Arbeitsschritten und Ergebnissen, automatische Implementierung von Entscheidungen​ und eine stärkere Interaktion von Menschen mit Systemen anstelle der zwischenmenschlichen Interaktion. 

Gute Arbeit durch neue Technik ist kein Selbstläufer 

So beschrieben liegt auf der Hand, dass es durchaus Handlungsbedarf gibt, wenn der Einsatz digitaler Technologien und insbesondere von Algorithmischem Management auch zum sozialen Fortschritt beitragen und die Technik den Menschen dienen soll. Angesichts der Interessengegensätze der Arbeitswelt ist es kein Selbstläufer, dass auch Arbeitnehmende von technischen Innovationen profitieren. Die Arbeitsgruppe hat Daten- und Arbeitsschutz  , betriebliche Mitbestimmung  sowie das Antidiskriminierungsrecht als wichtige Handlungsfelder für die Sicherung guter Arbeit in den Blick genommen. Sicherlich sind weder die Liste der relevanten Handlungsfelder noch die von der Gruppe zusammengestellten Empfehlungen abschließend. 

Beschäftigtendaten und Persönlichkeitsrechte effektiv schützen 

Wird Algorithmisches Management missbräuchlich eingesetzt, kann die Technik zur Überwachung von Beschäftigten in einer Weise genutzt werden, die Persönlichkeitsrechte verletzt. Datenschutz ist deshalb essenziell. Es geht aber auch um mehr Rechtssicherheit für Unternehmen. Die Arbeitsgruppe verweist hier auf das wichtige, im Koalitionsvertrag festgehaltene Vorhaben der Bundesregierung, ein Beschäftigtendatenschutzgesetz zu schaffen, das es gerade mit den Überwachungsmöglichkeiten aufnehmen kann, die KI  bietet. Ein überfälliger Schritt. 

Menschliche Ansprechpartner sind unersetzlich

Menschliche Ansprechpartner sind unersetzlich – digitales Prekariat verhindern 

Algorithmisches Management ersetzt den Kontakt zu Menschen. Das kann zu Entfremdung führen und sogar gesundheitliche Folgen haben. Es braucht deshalb ohne Frage passende Arbeitsschutzkonzepte. Und gerade im Personalmanagement und als Vorgesetzte bleiben für würdevolle Arbeit und zur Konfliktbewältigung menschliche Ansprechpartner unersetzlich. Das ist leider nicht überall selbstverständlich, wie auch die Arbeit der Gruppe zeigte. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die zurzeit in Brüssel verhandelte Richtlinie zur Plattformarbeit  hier zumindest für diese Branche konkrete gesetzliche Vorgaben machen wird.  

Die Richtlinie zur Plattformarbeit  wird auch in einem anderen Zusammenhang von Bedeutung sein. Denn wenn in Branchen ohne Tarifbindung und mit wenig oder keinen Strukturen betrieblicher Mitbestimmung, mit geringen Löhnen, aber einer hohen Anzahl befristeter Verträge und migrantischer Beschäftigter – wie etwa bei den Lieferdiensten – verstärkt Algorithmen menschliche Vorgesetzte und damit auch Ansprechpartner*innen für Beschäftigte ersetzen, ist die Gefahr, dass nachteilige Aspekte Algorithmischen Managements sich verwirklichen, wesentlich größer. 

Erfolgsrezept in der Transformation

Mitbestimmung und Beteiligung – ein Erfolgsrezept in der Transformation

Erfreulich ist, dass es bereits gute Beispiele für einen gewinnbringenden Einsatz algorithmischer Systeme in Betrieben gibt: entlastete Beschäftigte, denen weder Verantwortung noch Lohn entzogen wird, und Effizienzgewinne im Interesse des Unternehmens. Die in der Gruppe vorgestellten Beispiele zeichnen sich dadurch aus, dass nicht nur Betriebsräte, sondern auch die betroffenen Beschäftigten selbst schon in Entwicklungsprozesse einbezogen worden. Mitbestimmung durch Interessenvertretungen ist ein wichtiger Erfolgsfaktor.  

Betriebsräte können Beschäftigtenrechte bereits nach geltendem Recht sichern und die Arbeitsgruppe hat sehr eindrückliche Beispiele guter Praxis herausgearbeitet. Allerdings verweist der Koalitionsvertrag zu Recht auf den Weiterentwicklungsbedarf. Auch in der Arbeitsgruppe kamen einige Hürden für Interessenvertretungen zur Sprache, beispielsweise Intransparenz algorithmischer Systeme. Zeitgemäße Mitbestimmungsrechte sind aber unerlässlich angesichts der Geschwindigkeit und Bedeutung technischer Innovationen in der Arbeitswelt. Es geht dabei auch um die Notwendigkeit, Transformationsprozesse demokratisch zu gestalten. Genauso wie ein ökologischer Umbau der Wirtschaft wird technische Innovation als echter gesellschaftlicher Fortschritt positive Veränderungen in der Arbeitswelt nur bewirken können, wenn Menschen und ihre Bedürfnisse aktiv und wirkungsvoll eingebunden werden.  

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