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Lohnt sich Qualifikation?

Nach der Schule studieren, eine Ausbildung machen oder direkt ins Berufsleben einsteigen? Vor dieser Frage stehen jedes Jahr viele junge Menschen. Wofür sie sich entscheiden, kann von vielen Faktoren abhängen. Neben dem Wunsch nach einer sinnstiftenden Tätigkeit oder dem Erreichen eines bestimmten Status spielen auch die erwarteten Verdienstmöglichkeiten eine Rolle. Zwar ist die Vereinbarkeit von Privat- und Berufsleben für die jüngere Generation inzwischen wichtiger als Geld, um im Arbeitsalltag zufrieden zu sein. Und doch legt sie weiter Wert auf finanzielle Sicherheit (vgl. u.a. IAB 2022; SINUS-Jugendstudie 2020).

Welche Rolle wird dabei der Bildung zugeschrieben? Die Ergebnisse einer repräsentativen Befragung unter 14- bis 21-Jährigen zeigen, dass die Hälfte der jungen Erwachsenen eine abgeschlossene Ausbildung oder ein abgeschlossenes Studium für die berufliche Zukunft als zunehmend wichtig einschätzt (vgl. forsa 2023). Bisherige Studien bestätigen, dass der Berufsabschluss nach wie vor einen besonderen Einfluss auf das Einkommen und die Aufstiegschancen der Beschäftigten hat. So gehen höhere Abschlüsse in der Regel mit höheren Einkommen einher. Doch ist das immer so? Bedeutet ein höherer Bildungsabschluss immer mehr Geld?

Qualifikation lohnt sich – in den meisten Fällen

Ein Blick auf die Stundenlohnunterschiede nach Bildungsniveau im Zeitverlauf zeigt: Qualifikation zahlt sich finanziell meist aus. Ein höherer Bildungsabschluss geht in der Regel mit einem höheren Bruttoarbeitsentgelt einher. Sowohl Frauen als auch Männer mit höherem Abschluss erzielen im Durchschnitt ein höheres Bruttoeinkommen als Personen mit niedrigem Bildungsstand. Mit der Zeit steigt der Stundenlohn von höher Gebildeten zudem stärker als der von Personen mit Berufsausbildung oder ohne Berufsabschluss. Ein hoher Bildungsabschluss erhöht auch die Erwerbschancen (vgl. Autorinnengruppe Bildungsberichterstattung 2022).

Hinweis: Dargestellt sind die geschätzten Bruttostundenlöhne von Personen im Alter von 25 bis unter 56 Jahren nach Bildungsgruppe und Geschlecht. 5 10 15 20 25 13,8 11,2 9,2 15,4 19,2 16,7 12,6 11 8,4 8,8 11,8 10,5 16,3 14 11,9 10,3 12,5 9,8 14,4 12 17,6 16,1 18,9 22,8 21,2 Weiblich Quelle: Autorinnengruppe Bildungsberichterstattung (2022): Bildung in Deutschland 2022. S. 347, Tabelle I3-3; Eigene Berechnungen Männlich 2000 2005 2010 2015 2019 20,2 2000 2005 2010 2015 2019 5 10 15 20 25 30 16,8 19,2 18,5 26,6 28,6 12,3 14,0 12,9 21,6 15,2 17,3 16,1 26,2 25,4 11 12,4 10,2 16,2 16,6 9,4 10,9 9,1 16,2 15,0 ohne Ausbildungsabschluss Fachhochschulabschluss Universitätsabschluss Berufsausbildung Meister oder ähnliches ENTWICKLUNG DER BRUTTOSTUNDENLÖHNE NACH BILDUNGSABSCHLUSS Geschätzte Bruttostundenlöhne (in Euro) Geschätzte Bruttostundenlöhne (in Euro)

Fokus Bildungswege: Studium vs. (höhere) Berufsausbildung

Angesichts dieser Trends überrascht es kaum, dass immer mehr junge Menschen nach der Schule studieren möchten. 2021 gab es in Deutschland weit mehr als doppelt so viele Studierende wie Auszubildende. Gleichzeitig sinkt die Zahl der Ausbildungsbetriebe und der Bewerberinnen und Bewerber um einen Ausbildungsplatz kontinuierlich (siehe dazu unsere Data-Story Das Erfolgsmodell Duale Ausbildung hat ein Matching Problem). Häufig unterschätzt werden dabei die Potenziale der höheren Berufsausbildung, also der auf die duale Ausbildung aufbauenden Weiterbildungsmöglichkeiten, im Hinblick auf das zu erwartende Einkommen über das gesamte Berufsleben hinweg. So verdienen Menschen mit höherer Berufsbildung über ihr gesamtes Berufsleben gesehen nicht schlechter als diejenigen mit Hochschulstudium. Im Gegenteil: In den ersten Berufsjahren sind die Verdienstmöglichkeiten für Beschäftigte mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung attraktiver. Außerdem sind die Verdienstmöglichkeiten von Beschäftigten mit einer abgeschlossenen Fortbildung zum Meister oder Techniker bis zum späten Erwerbsalter mit denen von Hochschulabsolventinnen und -absolventen vergleichbar oder sogar besser (vgl. IAW 2022 (PDF)).

Quelle: Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung e.V. (IAW) an der Universität Tübingen (2022): Neue Erkenntnisse zum Lebenseinkommen von Berufsausbildung und Hochschulstudium im Vergleich. S.22. Eigene Darstellung 0 500 1000 1500 2000 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 Kein Abschluss abgeschlossenes Studium abgeschlossene Ausbildung abgeschlossener Meister/Techniker Kumuliertes Jahreseinkommen (in Tsd. Euro) Alter

Die verschiedenen Fortbildungsmöglichkeiten der höheren Berufsbildung bieten somit eine attraktive Aufstiegsperspektive nach der dualen Ausbildung. Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) geht davon aus, dass die höhere Berufsbildung einen positiven Effekt auf die berufliche und persönliche Entwicklung der Absolventinnen und Absolventen hat. Dies zeigt sich am häufigsten in einer höheren Position oder einer Verbesserung beim Einkommen (vgl. DIHK 2023).

Anforderungsniveau und Branche ausschlaggebend

Neben dem Bildungsabschluss ist das Anforderungsniveau der ausgeübten Tätigkeit ausschlaggebend dafür, wie viel man verdient. So liegen die monatlichen Bruttoarbeitsentgelte bei Vollzeitbeschäftigten, die hoch komplexe Tätigkeiten ausüben, im Median  deutlich höher als bei Helferinnen und Helfern. Meistens gilt: Je komplexer die Tätigkeit und je höher die dafür erforderliche Qualifikation, desto höher das erzielte Einkommen.

mit akademischem Abschluss mit anerkanntem Berufsabschluss ohne beruflichen Abschluss Expert/-in Spezialist/-in Fachkraft Helfer/-in Insgesamt Quelle: Bundesagentur für Arbeit (2023): Analyse zur Entgeltstatistik 2022. S. 10. Eigene Darstellung Median in Euro 0 1.000 2.000 3.000 4.000 5.000 6.000 5.501 5.868 4.629 3.383 2.570 3.646 3.515 2.693 MEDIAN DER MONATLICHEN BRUTTOARBEITSENTGELTE VON SOZIALVERSICHERUNGSPFLICHTIG VOLLZEITBESCHÄFTIGTEN NACH BERUFSABSCHLUSS UND ANFORDERUNGSNIVEAU

Vergleicht man die Verdienste der Beschäftigten nach Branchen, so zeigen sich jedoch deutliche Unterschiede. Helferinnen und Helfer erzielen in einer Reihe von Berufen im Durchschnitt höhere Bruttoverdienste als Fachkräfte in anderen Branchen. Das ist vor allem auf die Vielfalt  der ausgeübten Berufe innerhalb des jeweiligen Anforderungsniveaus zurückzuführen. In anderen Worten: Auch wenn das Anforderungsniveau der ausgeübten Tätigkeit im Vergleich ähnlich ist, können sich die Verdienste je nach Berufsgruppe deutlich unterscheiden.

Helfertätigkeiten werden nicht per se niedrig entlohnt

Insbesondere die Lohnverteilung von Helfer- und Fachkräftetätigkeiten zeigt, wie sich die Branchen auf die Einkommen auswirken. Sowohl auf Helfer- als auch auf Fachkräfteniveau gibt es Berufe, in denen Beschäftigte besonders viel oder besonders wenig verdienen. Zu den Bereichen mit den niedrigsten Verdiensten für Fachkräfte zählen unter anderem Körperpflege, Floristik und Gastronomie. Im Bergbau, im Tagebau und in der Sprengtechnik sowie in der Chemie sind Helfertätigkeiten hingegen besonders gut bezahlt. Die Verdienste in diesen Branchen sind in den meisten Fällen nicht nur für Helfer, sondern für Beschäftige aller Anforderungsniveaus vergleichsweise hoch. Wird deshalb ein Berufswechsel  für bestimmte Berufsgruppen attraktiver? Dieser Frage gehen wir in unserer Data-Story „Job und Berufswechsel“ nach.

Quelle: Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) (2022): IAB-Kurzbericht. "In einigen Helferjobs verdienen Fachkräfte mehr als in ihrem erlernten Beruf". S. 2. Eigene Darstellung Hinweis: Es handelt sich um monatliche Bruttoentgelte von sozialversicherungspflichtig Beschäftigen mit Tätigkeiten auf dem Helfer- bzw. Fachkraftniveau. Rundungen können dazu führen, dass sich die berichteten Anteile nicht zu 100 Prozent aufsummieren. bis 1.500 1.501 - 2.000 2.001 - 2.500 2.501 - 3.000 3.001 - 3.500 3.501 - 4.000 4.001 - 4.500 4.501 - 5.000 über 5.000 Helfertätigkeiten (mittleres Entgelt: 2.357 Euro) Fachkräftetätigkeiten (mittleres Entgelt: 3.166 Euro) Anteil der Vollzeitbeschäftigten auf Helfer- bzw. auf Fachkraftniveau nach Gehaltsgruppen in Prozent Gehaltsgruppen (Monatliche Bruttoentgelte in Euro) Angaben in Prozent, 2020 0 5 10 15 20 25 3,3 8,9 14,9 17,2 17 13,6 8,9 5,7 10,4 8,7 23,9 23,7 12,4 7,1 3,3 1,6 1,6 17,8 ENTGELTVERTEILUNG VON VOLLZEITBESCHÄFTIGTEN NACH ANFORDERUNGSNIVEAU

Grundsätzlich gilt es zu beachten, dass der Arbeitsmarkt in Deutschland, von Jobs mit mittleren und hohen Qualifikationsanforderungen geprägt ist. Gleichzeitig gibt es ein großes Segment an Helfertätigkeiten, zum Beispiel im Bereich der Lieferdienste, das zwischen 2015 und 2020 besonders gewachsen ist. Ausgeübt werden Helferjobs jedoch nicht nur von Menschen ohne formale Qualifikation. Im Gegenteil: Berufsabschluss und Anforderungsniveau entsprechen einander nicht immer. Rund 14 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten mit abgeschlossener Ausbildung und rund 4 Prozent mit einem akademischen Abschluss arbeiteten 2022 im Helferbereich (vgl. IAB 2022, IAB 2023).

Fachkräftemangel bietet finanzielle Aufstiegschancen für Helfer

Vor dem Hintergrund zunehmender Fachkräfteengpässe  wird es für Unternehmen immer attraktiver, Aufsteiger und Quereinsteiger mit und ohne formale Qualifikation zu rekrutieren. So können Betriebe sich (zukünftige) Fachkräfte sichern, die bereits Erfahrungen auf dem Arbeitsmarkt gesammelt haben – wenn auch in anderen Branchen.

Diese Entwicklungen eröffnen Beschäftigten in Helferberufen eine langfristige finanzielle Perspektive. Auch wenn die Verdienstmöglichkeiten in einzelnen Helferjobs kurzfristig hoch sein können, bringt eine Helfertätigkeit über den Lebensverlauf betrachtet im Durchschnitt weniger Geld ein. Eine Höher- oder Umqualifizierung zahlt sich daher sowohl für die Beschäftigten als auch für die Betriebe aus.

Beispielhaft stehen hier die Entwicklungen in der Metall- und Elektroindustrie. So gab es im Jahr 2021 über 86.000 Helferinnen und Helfer, die in M+E Fachkraftberufe wechselten. Auffällig ist, dass viele Beschäftigte aus dem Berufsfeld Verkehr und Logistik auf Helferniveau kamen (vgl. KOFA-Studie 2023).

Maschinen- und Fahrzeugtechnikberufe Metallerzeugung und -bearbeitung, Metallberufe Mechatronik-, Energie- und Elektroberufe Technische Forschungs-, Entwicklungs-, Konstruktions- und Produktionssteuerungsberufe Quelle: Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (KOFA) (2023): Die Fachkräftesituation in Metall- und Elektroberufen. S. 33. Eigene Darstellung aus eigenem Berufsfeld aus den jeweils anderen M+E Berufsfeldern aus anderen Berufsfeldern Gesamt Angaben in Euro 1.404 4.513 5.917 2.753 1.856 5.852 10.461 8.053 5.260 10.509 10.000 0 20.000 30.000 40.000 50.000 30.054 45.823 3.093 13.293 24.439 WECHSEL VON HELFERINNEN UND HELFERN IN DIE FACHKRAFTBERUFE DER METALL- UND ELEKTROINDUSTRIE

Ausblick

Die dargestellten Entwicklungen unterstreichen, wie wichtig Weiterbildung angesichts des rasanten Wandels am Arbeitsmarkt ist. Nicht nur Arbeitnehmerinnen und Arbeitsnehmer verbessern ihre individuellen Aufstiegschancen und Verdienstmöglichkeiten, wenn sie sich weiterqualifizieren, den Beruf wechseln oder neu einsteigen. Vielmehr sind auch Betriebe und Politik gefordert, entsprechende Angebote zu machen, um der immer wichtiger werdenden Rolle der Weiterbildung zur Sicherung des Fachkräftebedarfs gerecht zu werden. Adäquate und transparente Weiterbildungsstrukturen, die für unterschiedliche Zielgruppen zugänglich sind, sowie eine angemessene Anerkennung vorhandener Kompetenzen können einen Teil dazu beitragen. Aus Sicht des Rates der Arbeitswelt kann das Erfolgsmodell „Duale Ausbildung“ als Ausgangspunkt für eine Neujustierung des deutschen Weiterbildungssystems und den Aufbau einer tragfähigen Struktur dienen, die zu mehr Transparenz und Verbindlichkeit führt.