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Illustration Interview

„Häufig beherrschen Vorurteile gegenüber Älteren die betriebliche Praxis“

Bei älteren Menschen besteht ein hohes Potenzial zur Steigerung ihrer Erwerbsbeteiligung. Doch was müssen Unternehmen bei der Gestaltung alternsgerechter Arbeitsplätze beachten? Das hat Wirtschaftspsychologe Prof. Dr. Jürgen Deller mit seinem Projekt Later Life Workplace Index untersucht.

  • Angesichts des demografischen Wandels sowie des Fachkräftemangels wird die Beschäftigung älterer Menschen für Unternehmen zunehmend wichtiger  
  • Prof. Dr. Jürgen Deller, Wirtschaftspsychologe an der Leuphana Universität Lüneburg, hat sich in seinem Projekt Later Life Workplace Index daher intensiv mit den betrieblichen Faktoren für einen erfolgreichen Umgang mit alternden Belegschaften befasst 
  • Im Interview erläutert er, inwiefern die persönliche Abeitsfähigkeit abhängig von den Arbeitsbedingungen ist und auf welche Aspekte Unternehmen bei der Gestaltung alternsgerechter Arbeitsplätze achten sollten 
Prof. Dr. Jürgen Deller
© Leuphana Universität Lüneburg - Prof. Dr. Jürgen Deller

Later Life Workplace Index

Arbeitswelt-Portal: Sie arbeiten am Later Life Workplace Index – worum handelt es sich bei diesem Projekt?

Jürgen Deller: Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und des anhaltenden Fachkräftemangels werden ältere Beschäftigte immer wichtiger. Sie zu halten, zu motivieren und gesund bis zum Ruhestand zu beschäftigten, erfordert eine besondere Betrachtung relevanter Rahmenbedingungen für Arbeit in Organisationen. Das ist die strategische Sichtweise auf unser Thema. Gleichzeitig sind die Attraktivität und Flexibilität von Arbeit entscheidend dafür, dass Mitarbeiter weiter zur Verfügung stehen wollen und können. Über viele Jahre haben wir uns daher mit der Situation von Menschen, die im Ruhestand arbeiten, beschäftigt. Dabei haben wir viel gelernt.

Arbeitswelt-Portal: Was konnten Sie im Rahmen Ihrer Untersuchung herausfinden?

Deller: Da die Psychologie ihren Schwerpunkt auf das Erleben und Verhalten von Menschen legt, erfuhren wir viel über die persönliche Motivation, weiterhin im Arbeitsprozess beteiligt zu sein. Wir lernten aber auch, dass die persönliche Arbeitsfähigkeit und die Attraktivität von Arbeit im Kern von der Gestaltung der Arbeitsbedingungen abhängig sind. Ohne eine Anpassung der Arbeitsbedingungen stehen viele potentielle Mitarbeiter vor dem oder auch im Ruhestandsalter dem Arbeitsmarkt nicht mehr zu Verfügung. Es geht demnach insgesamt um eine für diese sehr erfahrene Gruppe von Menschen akzeptable Gestaltung der Arbeitsbedingungen in Organisationen. Gleichzeitig muss sich die Beschäftigung von Menschen für die Organisationen lohnen. Wenn Menschen und Organisationen in einem Arbeitsverhältnis zusammenkommen wollen, muss beiden gedient sein.

Arbeitswelt-Portal: Aber was sind solche Arbeitsbedingungen?

Deller: Diese Frage beantworten wir im Later Life Workplace Index, kurz LLWI. Der LLWI erfasst betriebliche Faktoren für einen erfolgreichen Umgang mit alternden Belegschaften. Er bietet eine Aufstellung der wichtigsten betrieblichen Maßnahmen und Themen. Organisationen werden in die Lage versetzt, sich selbst entlang dieser Maßnahmen zum Umgang mit dem demografischen Wandel, auch im Vergleich zu anderen Organisationen, einzuschätzen und Handlungsoptionen abzuleiten. In unserer Forschung interessiert uns, wie Arbeit so gestaltet werden kann, dass Menschen gerne arbeiten, dass sie mit der Arbeitssituation zufrieden sind, dass sie von guter Arbeitsfähigkeit und Gesundheit berichten, weniger schädlichen Stress haben, mit Engagement bei der Arbeit sind und von einer guten Passung ihrer Fähigkeiten zu den Anforderungen der Stelle berichten. Natürlich interessiert uns auch, ob der Arbeitgeber profitabel arbeitet. Bei fast allen genannten Aspekten wissen wir aus unseren Untersuchungen, dass die Ausprägungen der Dimensionen des LLWI mit der Qualität von Arbeit positiv zusammenhängen.  

Arbeitswelt-PortalWelche Dimensionen sind dies? 

Deller: Wir unterscheiden drei Gruppen von Dimensionen. Die Dimensionen Organisationsklima und Führung wirken in allen Bereichen der Organisation: Organisationsklima umfasst die vorherrschenden kollektiven Denk- und Handlungsmuster sowie Werte innerhalb der Organisation. Ein alternsgerechtes Organisationsklima ist zentrales Element eines guten Umgangs mit Beschäftigten kurz vor bzw. im Ruhestandsalter. Führung umfasst die Aufgaben der Führungskräfte, die Potenziale von Beschäftigten zu heben und zu einer hohen Arbeitsmotivation beizutragen. 

Die nächste Gruppe von Dimensionen, nämlich Arbeitsgestaltung, Gesundheitsmanagement, Persönliche Entwicklung und Wissensmanagement, adressiert klassische Themen der Gestaltung: Arbeitsgestaltung meint die Anpassung der Arbeit an die individuellen Bedürfnisse und Leistungsvoraussetzungen der Beschäftigten. Gesundheitsmanagement umfasst alle Maßnahmen der Organisation, die auf die Erhaltung und Förderung von Gesundheit und Arbeitsfähigkeit der Beschäftigten ausgerichtet sind. Persönliche Entwicklung umfasst die Unterstützung der Beschäftigten in ihrer beruflichen und auch persönlichen Entwicklung. Schließlich geht es im Wissensmanagement um die Gestaltung von Rahmenbedingungen, die dem Transfer, dem Austausch und der Bewahrung von Wissen aus verschiedenen Generationen der Beschäftigten dienen. 

Die abschließenden drei Dimensionen umfassen Themen, die in der Praxis deutscher Organisationen noch nicht oder nicht mehr so stark im Fokus stehen. Es sind dies der Übergang in die Ruhestandsphase, (Weiter-)Beschäftigung nach Renteneintritt sowie Versicherungen und Vorsorge. Die Dimension Übergang in die Ruhestandsphase beinhaltet die notwendigen Planungen, Vereinbarungen und Vorbereitungen für alle Beschäftigten, die kurz vor dem Ruhestand stehen oder in diesen eintreten. Die Weiterbeschäftigung nach Renteneintritt thematisiert die Gestaltung sowie das Angebot von Beschäftigungsmöglichkeiten für externe und interne Beschäftigte. Schließlich beschreibt die Dimension Versicherungen und Vorsorge, dass Organisationen ihre Beschäftigten durch betriebliche Rentensysteme und einen Versicherungsschutz unterstützen. 

Demografie-sensibles Management

Arbeitswelt-PortalWelche Maßnahmen setzen Betriebe im Zuge des demografie-sensiblen Managements um? 

Deller: Organisationen setzen eine Vielfalt  von Maßnahmen um. Die Identifizierung und Durchführung der Maßnahmen richten sich stets nach den betrieblichen Notwendigkeiten. Der LLWI hilft dabei. Die Ergebnisse der Befragung von Mitarbeitern und Führungskräften mit dem LLWI liefert die empirische Basis für die Ergebnisdarstellung der Dimensionen des Indexes. Ergebnisse werden zudem mit den Resultaten ähnlicher Organisationen verglichen und in einem Ergebnisworkshop mit der verantwortlichen Leitung auf die strategischen Ziele der Organisation bezogen.  

Arbeitswelt-PortalWas sind die häufigsten Herausforderungen, die in Zusammenhang mit der Beschäftigung älterer Beschäftigter zu beobachten sind? 

Deller: Häufig beherrschen Vorurteile gegenüber Älteren nach wie vor die betriebliche Praxis. Vor allem Lernbereitschaft und Kreativität werden älteren Beschäftigten deutlich weniger zugeschrieben als ihren jüngeren Kolleginnen und Kollegen. Aber auch Produktivität erwarten nur knapp die Hälfte der Führungskräfte von ihren älteren Beschäftigten. Dagegen meinen fast zwei Drittel der Führungskräfte, jüngere Kolleginnen und Kollegen seien produktiv. Der Umgang mit solchen Vorurteilen schlägt sich dann im Organisationsklima und in der Führungsqualität nieder. Hier helfen Information und das Herausstellen von Beispielen, die der Realität entsprechen. Und dies immer wieder. Vorurteile halten sich sehr lange und sind gerne sehr änderungsresistent. 

Arbeitswelt-Portal: Was sind potenzielle Lösungen? 

Deller: Für eine erfolgreiche Beschäftigung im demografischen Wandel reichen einzelne Personalinstrumente nicht aus. Vielmehr bedarf es der Fokussierung auf alternsgerechtes, Vorurteile verminderndes Organisationsklima und Führung. Diese beiden Dimensionen werden wegen ihrer übergreifenden Bedeutung im LLWI besonders thematisiert. Aber auch die weiteren Dimensionen des Indexes dienen gemeinsam einem umfassenden Bild über die Lage der Organisation. Nur zusammen bilden sie die Basis für die Ableitung von Veränderungen hin zu einer alternsfreundlichen Organisation. 

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