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Illustration Interview

„Jobwechsel können regionale Ungleichgewichte verstärken“

Fluktuation war zuletzt so stark von Kündigungen durch Beschäftigte geprägt wie nie. Ein Interview zu den Konsequenzen und den Ursachen für unsere eher niedrige Fluktuationsrate.

3 Fragen an Christian Hohendanner

Im Aufschwung der vergangenen Jahre war die Fluktuation so stark durch Kündigungen der Beschäftigten geprägt wie nie. Das hat Dr. Christian Hohendanner beobachtet, Soziologe und Arbeitsmarktwissenschaftler am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Im Interview erklärt er die Hintergründe und den Einfluss weiterer Faktoren auf die Beschäftigungsdynamik.

Welche Faktoren beeinflussen die Fluktuation in Deutschland? Gibt es dabei Unterschiede zwischen Branchen oder Berufen?

Christian Hohendanner: Fluktuation besteht im Wesentlichen aus zwei Komponenten - den Einstellungen und den Personalabgängen. Für Einstellungen ist vor allem die wirtschaftliche Situation der Betriebe entscheidend. Bei den Abgängen ist das Bild schon differenzierter, denn hier sind die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer  stärker beteiligt. Im Beschäftigungsboom der letzten Jahre beispielsweise haben so viele Beschäftigte wie nie gekündigt. Eine Erklärung dafür wäre, dass sie auf Jobs mit besseren Arbeitsbedingungen wechseln, wenn es genügend Stellen gibt. Eine hohe Fluktuation ist insofern auch eher ein Zeichen für eine gute wirtschaftliche Lage.

Christian Hohendanner
Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) – Dr. Christian Hohendanner

Aber Fluktuation ist kein Wert an sich: Stellen Sie sich vor, Arbeitgeber müssten täglich Verträge mit einzelnen Freelancern abschließen. Das würde die Transaktionskosten in die Höhe treiben. Betriebe haben daher großes Interesse daran, Arbeits- und Fachkräfte zu halten, gerade wenn sie – auch aufgrund des demografischen Wandels –knapper werden, wenn sie auf das betriebliche Erfahrungswissen ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angewiesen sind und sie in ihre Weiterbildung investiert haben.

Die Fluktuationsraten zeigen zudem ein unvollständiges Bild: Nehmen Sie die größeren, häufig auf den globalen Märkten erfolgreichen Unternehmen. Dort ist die Fluktuation vergleichsweise gering. Globalisierte Unternehmen verfügen über viele Flexibilisierungsmöglichkeiten, die sich aber nicht an Fluktuationsraten der eigenen Beschäftigten ablesen lassen. Flexibilität wird hier häufig über Leiharbeit  oder die Anpassung der Werkvertrags- und Zulieferbeziehungen erreicht. Während das Stammpersonal einen relativ guten Schutz genießt, sind die Beschäftigungsdauern etwa in der Zeitarbeit  deutlich geringer.

„Die USA haben eine höhere Fluktuation und oft radikale Innovationen. Bei uns läuft vieles über langfristige Beziehungen.“

Auch die institutionellen Bedingungen spielen eine Rolle für die Entwicklung der Fluktuation. In den USA wird beispielsweise schneller über Entlassungen angepasst, das Fluktuationsniveau ist daher höher als etwa in Deutschland. Hier werden Personalanpassungen auch aufgrund des relativ ausgebauten Kündigungsschutzes in Krisen eher über das Zurückfahren von Einstellungen vollzogen. Und Personal wird häufiger über interne Anpassungen wie den Abbau von Überstunden und Kurzarbeit  gehalten. So können die Arbeitgeber ihr qualifiziertes Personal im Aufschwung sofort einsetzen. Und es korrespondiert mit unserem Produktmarkt- und Innovationsregime. Wir sind auf bestimmten Märkten wie der Automobilindustrie oder im Maschinenbau erfolgreich. Hier funktioniert vieles über langfristige Beziehungen und schrittweise Innovationen auf hohem Niveau. Die USA haben ihre Stärken eher im Bereich radikaler Innovationen, für die schnell komplett neue Teams mit anderen Qualifikationen gebraucht werden.

Was die weiteren Branchen angeht: Eine hohe Fluktuation sehen wir eher im Dienstleistungsbereich, der weniger stark dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt ist, etwa im Gastgewerbe, im Einzelhandel oder den personenbezogenen Dienstleistungen. Zum Teil spielen dort auch saisonale Schwankungen eine größere Rolle.

Dr. Christian Hohendanner

Dr. Christian Hohendanner

Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB)

Dr. Christian Hohendanner forscht am IAB schwerpunktmäßig zu den Themen betriebliche Personalpolitik, Qualität der Beschäftigung, aktive Arbeitsmarktpolitik sowie zu Beschäftigungsbedingungen im sozialen und gemeinnützigen Dienstleistungsbereich. Er ist zudem Mitglied im Vorstand der Deutschen Vereinigung für sozialwissenschaftliche Arbeitsmarktforschung SAMF e. V.

Wie wird sich die Beschäftigungsdynamik mittel- und langfristig entwickeln?

Hohendanner: Das hängt tatsächlich stark von den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ab. In konjunkturell guten Phasen wird es wieder mehr Einstellungen und eine höhere Dynamik geben. Ich hoffe, dass wir uns nach der Pandemie auch wieder in diese Richtung bewegen.

Ein Bereich, in dem in den vergangenen Jahren gegen den Trend Beschäftigung abgebaut wurde, ist das Finanz- und Versicherungsgewerbe. Dazu haben sicherlich Konsolidierungsprozesse und die Ausdünnung des Filialnetzes bei Banken im Kontext der Digitalisierung beigetragen. Auch der gestiegene Kostendruck aufgrund der Abhängigkeit vom Zinsgeschäft bei niedrigen Zinsen dürfte eine Rolle gespielt haben.

Welche Chancen und Risiken der Fluktuation sehen Sie für die Fachkräftesituation der Betriebe?

Hohendanner: Wenn Fachkräfteknappheit die Fluktuation in einigen Branchen und Berufen weiterhin bestimmt, werden regionale Ungleichgewichte Thema: Werden die Beschäftigten noch stärker in die Regionen gehen, in denen sie nicht nur bessere Arbeits-, sondern auch bessere Lebensbedingungen finden? Das könnte die sozialen Ungleichheiten zwischen den Regionen verstärken. Es kann zu einer Polarisierung kommen, bei der es den Betrieben in den attraktiven Regionen leichter fällt, Fachkräfte zu halten. Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, die keine hohen Löhne zahlen können und in weniger attraktiven Regionen sitzen, werden das Nachsehen haben. Ein Gegentrend ist das Homeoffice. Da wird man sehen, wie sich das verstetigt und der Arbeitsort damit unabhängiger vom Firmensitz wird – zumindest dort, wo Homeoffice möglich ist.

Per se kann man eine hohe oder niedrige Fluktuation nicht als gut oder schlecht bewerten. Es ist zwar positiv, dass sich in der aktuellen Krise die Entlassungen in Grenzen halten. Der starke Rückgang bei den Einstellungen zeigt jedoch, dass die Outsider des Arbeitsmarktes, vor allem Berufsanfänger, aber auch Leiharbeiter, befristet Beschäftigte oder Minijobber, die ihre Jobs verloren haben, das Nachsehen haben. Eine arbeitsmarktpolitisch relevante Frage wäre also, welche Rahmenbedingungen wieder zu mehr Einstellungen führen.

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