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Illustration Interview

„Beschäftigte sind nach einer Rehabilitation besonders motiviert”

Wie gelingt es, Menschen nach einem Unfall oder einer Krankheit wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren? Diana Scholl, Geschäftsführerin des Bundesverbands Deutscher Berufsförderungswerke, erklärt, worauf es ankommt. 

Arbeitsmarktaustritt durch Krankheiten und Unfälle

Arbeitswelt-PortalKrankheiten und Unfälle sorgen dafür, dass viele Menschen aus dem Arbeitsmarkt treten. Welche Zahlen gibt es hierzu? Wer ist weshalb am häufigsten betroffen? 

Diana Scholl: Das ist sehr unterschiedlich. Früher sind eher Menschen mit klassischen Handwerks- oder Fertigungsberufen gesundheitsbedingt ausgefallen. Dabei waren vor allem Männer mit steigendem Alter betroffen, die aufgrund von Beschwerden im Bewegungsapparat eine Tätigkeit nicht mehr ausführen konnten. Dies ist zwar auch heute noch eine der häufigsten Ursachen für eine Rehabilitation bei Frauen und Männern. Doch seit einigen Jahren nehmen psychische Erkrankungen besonders zu. Betroffen sind dabei viele jüngere Frauen. Bei Männern sind auch Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems verbreitet, die eine berufliche Neuorientierung nötig machen. Seit 2020 mehren sich infolge der Corona-Pandemie zudem langwährende Erkrankungen der Atemwege.  

Diana Scholl
© Bundesverband Deutscher Berufsförderungswerke e.V. - Diana Scholl

Größte Herausforderungen bei der Reintegration

Arbeitswelt-Portal: Was sind die größten Herausforderungen bei der Reintegration von Menschen in das Arbeitsleben?

Scholl: Die Vorbehalte in den Köpfen der Außenstehenden. Viele nehmen an, dass Menschen, die eine berufliche Rehabilitation durchlaufen haben, nicht mehr oder gemindert leistungsfähig sind. Das ist nicht so, denn sonst wären sie auch nicht erfolgreich in der Rehabilitation. Ganz im Gegenteil: Wir erleben bei unseren Teilnehmer*innen eine besonders hohe Motivation, zumal sie alle schon einmal im Berufsleben standen. Zudem sind über 90 Prozent der Beeinträchtigungen auf den ersten Blick gar nicht sichtbar. Qualifizierungen bei uns in den Berufsförderungswerken sind an den Bedarfen und der Situation des Arbeitsmarktes ausgerichtet, sodass die Teilnehmer*innen auch jede Möglichkeit haben, wieder auf dem Arbeitsmarkt anzukommen – man muss ihnen nur die Chance geben. Oftmals haben Menschen bei dem Ausdruck Behinderung oder Beeinträchtigung ein bestimmtes Bild im Kopf, und das gilt es zu ändern. Vielen scheint gar nicht bewusst zu sein, dass nur bei einem Teil der Rehabilitand*innen eine (prozentuale) Schwerbehinderung  vorliegt, denn dies ist keineswegs eine Voraussetzung für eine berufliche Rehabilitation.  

Arbeitswelt-Portal: Was sind die größten Herausforderungen bei der Reintegration von Menschen in das Arbeitsleben?

Scholl: Wichtig ist zudem, dass die Menschen zeitnah Angebote bekommen. Wer ein oder zwei Jahre vom Arbeitsmarkt weg ist, wird es schwerer haben. Zudem führt Arbeitslosigkeit in vielen Fällen zu psychischen Problemen, und daraus kann ein Teufelskreis entstehen. Da müssen sich in den Genehmigungs- und Antragsverfahren einige Prozesse beschleunigen. Auch bei der Beratung zu den Möglichkeiten – immerhin besteht ein gesetzlicher Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben – sehen wir einige Verbesserungspotenziale. Mittlerweile informieren wir als Berufsförderungswerke auch die Menschen selbst sehr aktiv, zum Beispiel im Rahmen unseres gemeinsamen Informations- und Beratungsangebotes wir. Neustarter. Die Website wird durch ein Magazin ergänzt. 

Was müssen Betriebe leisten?

Arbeitswelt-Portal: Wie müssen Qualifizierungsangebote aussehen, um Menschen nach einer krankheits- oder unfallbedingten Auszeit neue Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu ermöglichen? 

Scholl: Wichtig ist, die Menschen individuell und ganzheitlich zu begleiten. Gerade nach einer einschneidenden Situation wie einer Krankheit oder einem Unfall, die das Leben privat und auch beruflich auf den Kopf gestellt hat. Dabei gibt es kein Schubladensystem oder einen Königsweg. Es geht darum, gezielt zu schauen, was der- oder diejenige gut kann, wo die Stärken und die Möglichkeiten liegen. Einige Menschen benötigen vielleicht mehr Zeit oder eine individuellere Begleitung. Diese Flexibilität und der Blick auf den Menschen selbst sind nötig, damit eine neue Qualifizierung erfolgreich sein kann. Dazu zählt auch, dass das Spektrum der möglichen Qualifizierungen breit gefächert bleibt und die Menschen verschiedenste Perspektiven entsprechend ihrer Bedarfe und Interessen haben.

Arbeitswelt-PortalWas müssen Betriebe leisten, um Beschäftigte bei der Reintegration zu unterstützen? 

Scholl: Die Offenheit der Betriebe und die Herangehensweise an die Reintegration sind besonders wichtig. Es gilt, sich zu den Möglichkeiten und Maßnahmen gut zu informieren – dabei unterstützen die Berufsförderungswerke auch ganz gezielt. Während einer Maßnahme bei uns in den Berufsförderungswerken ist auch eine betriebliche Phase vorgesehen, sodass Rehabilitand*innen die Arbeit in der wirklichen Praxis kennenlernen und Unternehmen sich gleichzeitig ein Bild von den potenziellen Mitarbeiter*innen machen können. Das nimmt viele Berührungsängste auf beiden Seiten. Daher bieten wir den Unternehmen stets an, Praktika zu vermitteln. Zudem ist es wichtig, dass die Mitarbeiter*innen von Anfang an eingebunden sind. So wird die Akzeptanz, etwa bei neuen Kolleg*innen, die ggf. etwas mehr Einarbeitungszeit oder Unterstützung benötigen, erhöht. Wir haben festgestellt, dass Unternehmen offener bei dem Thema werden, wenn es Berichte und Erfahrungen von anderen Unternehmen gibt. Daher haben wir Räume und Formate für eben diesen Austausch geschaffen, zum Beispiel mit unserer Veranstaltungsreihe Chefsache Inklusion

Arbeitswelt-PortalKönnen Sie ein Beispiel nennen, wie Unternehmen starten können?

Scholl: Es gibt viele kleine Stellschrauben, die man als Unternehmen niederschwellig und kostengünstig drehen kann, um Inklusion  im eigenen Betrieb zu fördern. Beispielsweise durch Barrierefreiheit. Das fängt damit an, dass zum Beispiel eine Website barrierefrei gestaltet ist, und reicht bis hin zur baulichen Ausstattung. Die Unternehmen erkennen zunehmend, dass diverse Teams förderlich für die Betriebskultur und das Arbeitsumfeld sind und das Unternehmen bereichern können. Es ist vor allem das Bewusstsein der Unternehmen und der Mitarbeiter*innen und damit auch die gegenseitige Achtung, die die Reintegration befördern und gelingen lassen. In jedem Fall haben wir ein enormes Potenzial bei den Menschen in Deutschland, die aufgrund von Krankheit oder Unfall von einem Arbeitsplatzverlust bedroht sind. Und wir haben die Werkzeuge und Möglichkeiten, diesen Menschen zu helfen. 

Arbeitswelt-PortalWie gut gelingt diese Unterstützung bereits? 

Scholl: Die Arbeit der Berufsförderungswerke erfolgt bereits seit den 60er-Jahren, und die Integrationsquoten, also die Zahl der Menschen, die nach einem erfolgreichen Abschluss bei uns wieder auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen, ist hoch. Im Durchschnitt befinden sich rund 80 Prozent der Absolvent*innen ein Jahr nach dem Ende der Maßnahme in einem festen Arbeitsverhältnis. Je nach Berufsbild kann dies variieren. Bei den Gesundheits- und IT-Berufen zum Beispiel liegen die Quoten bei bis zu 100 Prozent. Zudem rentiert sich die berufliche Rehabilitation. Nicht nur aufgrund der sozialen und gesellschaftlichen Komponente, sondern auch finanziell. Schon nach drei bis fünf Jahren zahlen die Menschen wieder in das Sozialsystem ein. 

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