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Illustration Interview

Die Trends hinter dem Wandel beruflicher Anforderungen

Technologischer Fortschritt und weitere Umbrüche erfordern aus Sicht von zwei Wissenschaftlern eine berufliche Qualifizierung, die auf die flexible Anpassung von Wissen vorbereitet.

Lebenslanges Lernen und Weiterbildung sind entscheidend für den Erfolg am Arbeitsmarkt, sagen Gerd Zika, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsbereich Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), und Ben Kriechel, Arbeitsmarktforscher am Economix-Institut. Im Interview sprechen die Forscher über Trends am Arbeitsmarkt und was sie für die berufliche Qualifizierung bedeuten.

3 Fragen an Gerd Zika, IAB

Welche Trends beeinflussen die berufliche Qualifizierung am Arbeitsmarkt?

Gerd Zika: Zuerst einmal haben wir die demografische Entwicklung. Die Alterung unserer Gesellschaft beeinflusst, welche Berufe und Qualifikationen am Arbeitsmarkt benötigt werden. Beim zweiten Megatrend geht es um den technischen Fortschritt, vor allem die Digitalisierung. Aber auch die Klimafolgenanpassung zählt hierzu. Was hier in den letzten Jahren von der EU gefordert wurde, etwa zur Einsparung von CO2-Emissionen, hat Folgen für den Arbeitsprozess: Wenn neue Technologien angewendet werden, hat das Auswirkungen darauf, welche Tätigkeiten und Anforderungen es in den Unternehmen gibt. Auch das Thema Ressourceneffizienz spielt da mit rein. Ein neuer Trend, den auch die Corona-Pandemie aufgeworfen hat, sind veränderte Verhaltensweisen. Wie arbeiten wir künftig: von zu Hause, virtuell oder im persönlichen Austausch? Ich kann mir vorstellen, dass auch das Thema Work-Life-Balance künftig eine stärkere Rolle spielen wird, nachdem viele im Homeoffice gesehen haben, dass es noch andere Dinge im Leben gibt.

Dr. Gerd Zika
Gerd Zika

Dr. Gerd Zika

Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB)

Dr. Gerd Zika forscht am IAB im Bereich Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen sowie zur digitalen und ökologischen Transformation. Er leitet die Modellrechnungen zur künftigen Qualifikations- und Berufsentwicklung und das Fachkräftemonitoring.

Welche Branchen und Berufe werden künftig wichtiger, welche verlieren an Bedeutung?

Zika: Wir haben schon in der Vergangenheit gesehen, dass das produzierende Gewerbe an Bedeutung verloren hat. Das wird so bleiben. Insbesondere die Automobilindustrie ist in einem riesigen Umbruch. Da werden sicher einige Arbeitsplätze verloren gehen. Aber natürlich gibt es auch Bereiche wie die Herstellung von Gesundheitsartikeln, die allein durch den demografischen Wandel gewinnen werden. Auch der Dienstleistungsbereich wird grundsätzlich wichtiger: alles, was mit IT zu tun hat, auch die Gesundheitsberufe – durch die Covid-19-Pandemie womöglich noch deutlicher. Dagegen stellen wir aktuell fest, dass im Tourismus vor allem die Flugverkehrsbranche stark verloren hat. Und bei der Gastronomie werden wir abwarten müssen, wie diese Berufe nach der Krise dastehen werden. Die Verkaufs- oder Büroberufe sind durch die Digitalisierung schon länger unter Druck. Und in der Logistik stellt sich die Frage, was passiert, wenn sich das autonome Fahren durchsetzt. 

Wie ändert der Strukturwandel die Nachfrage nach den beruflichen Qualifizierungen?

Zika: Maschinen übernehmen immer mehr schwere Arbeiten und einfache Helfertätigkeiten. Das ist der normale technische Fortschritt. Natürlich werden stattdessen auch andere Qualifikationen nachgefragt, IT-Verständnis beispielsweise. Grundsätzlich ist es nicht so, dass man einen bestimmten Beruf lernt und damit durchs ganze Berufsleben kommt. Berufsausbildung und Studium müssen darauf vorbereiten, flexibel zu sein und das, was man mal gelernt hat, in unterschiedlichen Zusammenhängen einsetzen und dazulernen zu können, während früher Gelerntes vielleicht nicht mehr gefragt ist. Denn der technische Fortschritt wird nicht stehen bleiben. Das ist etwas, in das die Menschheit hineinwächst und das uns keine Angst machen muss. Insgesamt glaube ich, dass der Strukturwandel durch die Covid-19-Pandemie nochmal an Fahrt gewonnen hat. Dadurch werden viele Stellen wegfallen, während anderswo neue entstehen. Lebenslanges Lernen wird damit immer wichtiger. Deshalb bin ich sehr froh, dass die Bundesregierung die Bedeutung dieses Themenfelds erkannt hat.

3 Fragen an Ben Kriechel, Economix

Welche Trends beeinflussen die berufliche Qualifizierung am Arbeitsmarkt?

Ben Kriechel: Von vielen Trends hört man immer wieder: Das ist zum Beispiel Digitalisierung. Ich möchte aber eigentlich einen Blick auf die Angebotsseite werfen: Da gibt es den Trend, höhere Qualifikationen anzustreben. Gerade in der beruflichen Qualifizierung fehlen die Leute eher, die eine Berufsausbildung machen möchten. Das führt dann dazu, dass die Arbeitgeber diese Lücke füllen, indem sie Studierende aus dem Fachhochschulbereich oder mit Bachelorabschluss einstellen. Das passt dazu, dass Arbeitgeber vor allem von Studienabgängerinnen und Studienabgängern die Kompetenz erwarten, mit den neuen Technologien umzugehen und in einer Arbeitswelt zu funktionieren, die flexibel sein soll und gleichzeitig hoch spezialisiert. Eine gute Berufsausbildung qualifiziert aber auch dafür. Die Herausforderung sehe ich deshalb eher darin, mit dieser Komplexität umzugehen und gleichzeitig darauf vorbereitet zu werden, sich die neuen Entwicklungen der Zukunft beizubringen.

©Economix - Dr. Ben Kriechel
Ben Kriechel

Dr. Ben Kriechel

Economix

Dr. Ben Kriechel ist geschäftsführender Partner beim privaten Forschungsinstitut Economix. Seine Schwerpunkte sind die empirische Arbeitsmarktforschung und Forschungsmethoden. Er forscht zudem am IZA in Bonn und dem Research Centre of Education and the Labour Market in Maastricht.

Welche Branchen und Berufe werden künftig wichtiger, welche verlieren an Bedeutung?

Kriechel: In einigen Bereichen werden weniger Arbeitskräfte gefragt sein. Das hat vor allem mit der Automatisierung zu tun. Wir kennen das aus der Industrie: Wo früher mehrere Leute gearbeitet haben, wird diese Arbeit jetzt durch Roboter oder Maschinen ersetzt. Dies kommt aber auch mehr und mehr in anderen Bereichen vor. Durch Online-Banking etwa ist der direkte Kundenkontakt weniger wichtig, was das ganze Berufsbild der Bankkaufleute verändert. Spezialisierte Unterstützungsdienstleistungen gewinnen dagegen. In den letzten Jahren haben die Angebote betriebsnaher Dienstleistungen im IT-Bereich, in der Anlegung und Planung von Prozessen und in der Datenanalyse sehr zugenommen, dies führt zu höherer Beschäftigung unter den höher Qualifizierten. Aber auch in den persönlichen Dienstleistungen nimmt der Bedarf zu. Letzteres hat mit dem Thema Überalterung zu tun. Diese Dienstleistungen finden eher am unteren Ende der Qualifizierungs- und Entlohnungsstruktur statt, so dass wir uns Gedanken um die Organisation dieser Art von Arbeit machen müssen.

Wie ändert der Strukturwandel die Nachfrage nach den beruflichen Qualifizierungen?

Kriechel: Bei der Entscheidung für einen Berufsweg sollten die persönlichen Vorlieben wahrscheinlich das wichtigste Kriterium sein. Es ist nicht unbedingt sicherer, in der Informations- und Kommunikationstechnik zu arbeiten. Alles, was sich gut beschreiben lässt und wo es sich wiederholende Tätigkeiten gibt, ist ersetzbar durch Maschinen oder lässt sich gut in Niedriglohnländer exportieren. In welchen Berufen diese Substituierung stattfindet, ist schwer vorherzusehen. Nach unseren Vorausberechnungen sind die Berufsaussichten in Deutschland aber insgesamt sehr gut. Das liegt daran, dass wir durch die Überalterung jede Hand und jeden Kopf brauchen werden, wenn die noch zahlenmäßig starke Generation der Babyboomer demnächst in Rente geht. Das ist vor allem in mittleren und höheren Qualifikationen zu sehen. Sowohl junge Menschen haben gute Berufsaussichten, aber auch die, die beispielsweise nach einer Familienpause wieder in den Arbeitsmarkt einsteigen möchten, oder durch Zuwanderung neu ins Land gekommen sind. Die Nachfrage wird sicher im Industriebereich geringer, im IT-Bereich höher, aber auch im Gesundheitssektor, wo es schon jetzt enormen Bedarf gibt.

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