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Illustration Interview

„Frauen stoßen noch oft an die bekannte „gläserne Decke““

Frauen verdienen noch immer weniger als Männer. Woran liegt das und wie lässt sich dieser Umstand ändern? Unser Interview mit Christina Klenner gibt Aufschluss.

Frauen verdienen häufig noch immer weniger als Männer und stoßen noch oft an die bekannte „gläserne Decke“. Die Lohnlücke hat unterschiedliche Gründe, Arbeit in Teilzeit  , familiäre Verpflichtungen und noch immer schlechter bezahlte „Frauenberufe“ sind einige Beispiele. Was kann dagegen getan werden? Antworten auf diese und weitere Fragen lesen Sie im Interview mit Dr. Christina Klenner, Senior Research Fellow am Institut für empirische Sozial- und Wirtschaftsforschung (INES Berlin).

Christina Klenner
©Karsten Schöne - Dr. Christina Klenner

Nach den neusten Daten des Statistischen Bundesamts verdienen Frauen heute immer noch 18 Prozent weniger als Männer. Woran liegt das?

Christina Klenner: Statistische Zerlegungen der Entgeltlücke haben gezeigt, dass viele unterschiedliche Faktoren darauf Einfluss nehmen. Um die wichtigsten zu nennen: Frauen steigen seltener in Führungspositionen und andere hoch bezahlte Tätigkeiten auf. Sie stoßen noch oft an die bekannte „gläserne Decke“. Ein weiterer Grund ist, dass Frauen wegen familiärer Aufgaben häufig in Teilzeit arbeiten und längere Erwerbsunterbrechungen aufweisen. Beides wirkt sich erwiesenermaßen negativ auf den Stundenlohn aus. Eine wichtige Rolle spielen auch die Berufsfelder: Frauen arbeiten insbesondere in den Berufen und Branchen, die generell schlechter bezahlt werden. Unsere eigenen Berechnungen zur Bezahlung von gleichwertiger Arbeit haben aber auch gezeigt, dass die Bewertung von Arbeit eine große Rolle spielt. Überwiegend von Frauen ausgeführte Arbeit wird im Schnitt deutlich schlechter bewertet und entlohnt als überwiegend von Männern ausgeführte.

Ganz allgemein lässt sich sagen, dass im Gender Pay Gap  , also der geschlechtsbezogenen Entgeltlücke bei den Löhnen, auch die alte geschlechtshierarchische Arbeitsteilung zum Ausdruck kommt. Würden nicht vor allem Frauen die unbezahlte Arbeit leisten und dafür beruflich oft zurückstecken, wäre die Entgeltlücke kleiner.

Spielt das Geschlecht bei der Entlohnung eine Rolle? Werden „Frauenberufe“ also per se schlechter bezahlt?

Klenner: Ja, ganz eindeutig. Sicherlich ist die unmittelbare Diskriminierung, das heißt schlechtere Bezahlung mit der Begründung „weil Sie eine Frau sind“ heute selten und wird moralisch nicht mehr akzeptiert – verboten ist sie sowieso. Aber die immer noch von Geschlechterstereotypen geprägten Einstellungen, die uns oft nicht bewusst sind, haben Einfluss auf viele Entscheidungen. Wer für welche Stelle als geeignet angesehen wird, welche Arbeit als „schwer“ oder „leicht“ gilt, wieviel bestimmte berufliche Anforderungen und Belastungen in Euro wert sind, das hängt eng mit dem Geschlecht zusammen. Nehmen wir die Pflegearbeit: hier wird nachweislich ein hohes Maß an fachlicher Kompetenz verlangt, zugleich gibt es starke psychische Belastungen und oft unterschätzte körperliche Belastungen. Die Pflegekräfte tragen große Verantwortung für das Wohlergehen und Leben anderer Menschen. Doch diese Berufe werden in keiner Weise entsprechend entlohnt.

Zu einem Teil steckt in der Arbeitsbewertung und der betrieblichen Eingruppierung das Denken, der Mann muss eine Familie ernähren, die Frau nicht. Doch das widerspricht nicht nur dem Rechtsgrundsatz, dass gleiche und gleichwertige Arbeit gleich zu bezahlen ist. Zunehmend stimmt auch die Prämisse nicht mehr. Immer mehr Frauen tragen in hohem Maße zum Familieneinkommen bei oder ernähren sogar hauptsächlich ihre Familien.

Frauen könnten sich ja auch andere Berufe aussuchen. Wie kommt es, dass so viele Frauen in Jobs landen, die schlechter bezahlt werden?

Klenner: Viele Frauen wählen nach ihren Neigungen und Werten. Wenn sie sorgebetonte Berufe ergreifen, dann weil sie helfen und sich um andere Menschen kümmern wollen. Das sind sehr wichtige, gesellschaftlich notwendige Tätigkeiten. Wo käme die Gesellschaft hin, wenn alle nur Autos bauen würden? Man sollte Frauen, die solche Berufe ergreifen wollen, nicht davon abbringen – sondern diesen Berufen die Anerkennung und Bezahlung zukommen lassen, die ihnen gebührt.

Eine andere Sache ist es aber, wenn Frauen, die sich für bisherige „Männerberufe“ interessieren, Steine in den Weg gelegt werden. Geradezu klassisch war die Ablehnung von Frauen für bestimmte Berufe mit dem Hinweis auf fehlende Damentoiletten – ich weiß nicht, ob es das noch immer gibt. Aber auch die Skepsis gegenüber Frauen als Bewerberinnen für Lehrberufe wegen körperlicher Belastungen oder wegen des „raubeinigen Arbeitsklimas“ ist oft nur der verkappte Versuch, Frauen von den Männerdomänen fernzuhalten. Heimliche oder sogar offene Zugangsbeschränkungen für Frauen zu gut bezahlten, aber „männlich“ gedachten Berufen und Studienfächern müssen dringend abgebaut werden. Etwas tun müssen wir auch gegen den so genannten „Drehtüreffekt“: Frauen, die technische Berufe erlernt haben und in „Männerberufen“ arbeiten, werden oft nach kurzer Zeit aus diesen Berufen wieder herausgedrängt, z.B. durch hohe Überstundenanforderungen.

Christina Klenner

Dr. Christina Klenner

INES Berlin

Dr. Christina Klenner war 2000-2018 Referatsleiterin Genderforschung am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung. Sie ist Senior Research Fellow am Institut für empirische Sozial- und Wirtschaftsforschung (INES Berlin). Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Geschlechterforschung.

Was muss sich ändern?

Klenner: Sehr wichtig erscheint mir, endlich die festgefügten Vorstellungen darüber abzubauen, was männlich und was weiblich ist: in der Schule, in der Unterhaltungskunst und Werbung, in der Berufsberatung, überall. Mit der Unterstellung wesentlicher Unterschiede zwischen Frauen und Männern sind Annahmen darüber verbunden, dass sich Frauen und Männer für bestimmte Berufsfelder eignen bzw. nicht eignen. Das führt noch immer zur beruflichen Segregation, das heißt, Frauen und Männer üben häufig verschiedene Berufe - und sogar innerhalb von Berufen unterschiedliche Tätigkeiten - aus, die dann unterschiedlich, im allgemeinen für Frauen niedriger, bezahlt werden.

Ebenso wichtig sind handfeste rechtliche Änderungen. Wir brauchen ein wirksames Entgeltgleichheitsgesetz. Notwendig ist die Überprüfung der Tarifverträge hinsichtlich der Entgeltstrukturen. Wir brauchen gendersensible Personalverantwortliche und Führungskräfte, aber ebenso Betriebs- und Personalräte, die über Einfallstore für Ungleichbehandlung bei der Eingruppierung von Frauen und Männern Bescheid wissen und für gerechte Entlohnung eintreten.

Schließlich muss sich endlich die ungleiche Beteiligung von Frauen und Männern an der notwendigen Sorgearbeit ändern. Erst wenn Männer ihren Anteil an Hausarbeit, Pflege und Erziehung übernehmen, wenn sie ebenfalls Elternzeit  nehmen, phasenweise familienbedingt Teilzeit arbeiten und Frauen nicht mehr den Löwenanteil an unbezahlter Arbeit leisten, wird eine wichtige Ursache der Entgeltlücke beseitigt sein.

Die Aufwertung von weiblicher Arbeit war besonders auch während der Corona-Krise ein Thema. Dabei geht es häufig auch darum, Sorgetätigkeiten im Bereich der Pflege oder Erziehung besser zu entlohnen. Moralisch stimmen da sicher viele zu. Aber lässt sich das auch objektiv begründen?

Klenner: Ja. Das von uns (Ute Klammer, Sarah Lillemeier und mir) entwickelte Messinstrument „Comparable-Worth-Index“ (kurz CW-Index) ermöglicht, unterschiedliche berufliche Tätigkeiten hinsichtlich der Gleichwertigkeit der beruflichen Anforderungen und Belastungen zu untersuchen. Hier kamen wir auf der Basis von tausenden Befragungsdaten zu dem Ergebnis, dass Pflegeberufe deutlich unter dem Einkommensniveau der gleichwertigen technischen Berufe liegen. Ein Beispiel: Die Berufsgruppe „Fachkräfte in Pflege und Gesundheit“ weist mit 29 Punkten einen gleich hohen CW-Index auf wie die Gruppe „Führungskräfte in der Produktion, im Bergbau und im Bau sowie in der Logistik“. Das heißt, durchschnittlich sind die beruflichen Anforderungen und Belastungen in beiden Gruppen gleich hoch – wenn nicht nur das Ausbildungsniveau, sondern ebenso Verantwortung und psychosoziale sowie körperliche Belastungen einbezogen werden. Die meist weiblichen Pflegefachkräfte erhielten (im Erhebungsjahr 2012) aber nur durchschnittlich 15,64 EUR pro Stunde, die männlich dominierten Führungskräfte in der Produktion hingegen 23,33 EUR. Aber auch zwischen Branchen – und zwischen Männern – gibt es erhebliche Unterschiede: in derselben Gruppe mit gleichwertigen Anforderungen und Belastungen fanden sich auch „Führungskräfte im Bereich Informations- und Kommunikationstechnologie“, die sogar 32,53 EUR erhielten (Quelle: Lillemeier 2018).

Was bedeutet das für die betriebliche Praxis? Wo kann oder sollte man auf der Unternehmensebene ansetzen?

Klenner: Die Betriebe sollten ihre betriebliche Entlohnungsstruktur mit geeigneten Prüfverfahren überprüfen. Tatsächlich sieht das Entgelttransparenzgesetz solche Prüfungen vor. Leider haben bisher nur wenige Betriebe diese Prüfungen durchgeführt und wenn, dann selten mit den anerkannten, zertifizierten Prüfverfahren. Diese sind aber leicht zugänglich – z.B. über die Webseite der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Bei Vorliegen der Voraussetzungen wird die Beratung hierzu und die Durchführung im Betrieb sogar finanziell gefördert.

Selbstverständlich sollte sein, einen Tarifvertrag so anzuwenden, dass Frauen und Männer mit gleicher oder gleichwertiger Arbeit in dieselben Tarifgruppen eingruppiert werden. Ohnehin ist mit Tarifvertrag das Entgeltgefälle zwischen Frauen und Männern kleiner, weil für die Entlohnung festgelegte Kriterien gelten. Was Zulagen angeht, müssen vor allem an Leistungsbeurteilungen geknüpfte Zahlungen auf objektiven und nachprüfbaren Kriterien beruhen, damit es keine „Nasenprämien“ sind.

Eng mit dem Entgelt  verbundene Themenkreise, die im Betrieb angegangen werden sollten, sind innerbetriebliche Aufstiegswege sowie die Akzeptanz von Elternzeit und Teilzeit in hochqualifizierten Tätigkeiten.

Um die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen zu schließen, sind sicher viele verschiedene Maßnahmen notwendig. Welchen Einfluss hat Transparenz auf die Verbesserung der Frauenlöhne? Wie bewerten Sie das Entgelttransparenzgesetz?

Klenner: Transparenz ist wichtig. Aber sie allein hilft nicht, wenn nicht nach einer festgestellten Diskrepanz die Einkommen der unterbezahlten Gruppe angehoben werden – und zwar verpflichtend. Wir wissen aus Betriebsuntersuchungen, dass Frauen sich sehr wohl der Tatsache bewusst sind, dass sie gegenwärtig mit der Auskunft nicht viel anfangen können, da das Entgelttransparenzgesetz nicht vorschreibt, was auf die Auskunft zu folgen hat.

Eine weitere Schwachstelle des Entgelttransparenzgesetzes ist, dass Frauen gar nicht den Vergleich mit als gleichwertig vermuteten Tätigkeiten von Männern verlangen können, wenn die Männertätigkeiten einer höheren Tarifgruppe zugeordnet sind. Deren Tätigkeit gilt dann per se als höherwertig. Hier kommen Frauen mit Transparenz nicht weiter, hier beißt sich die Katze in den Schwanz.

Die Lohnunterschiede sind leicht rückläufig, aber werden wir jemals absolute Lohngleichheit erleben?

Klenner: Ich hoffe, ja. Denn Frauen sind im Durchschnitt weder weniger gebildet noch weniger motiviert als Männer. Im Einzelfall wird hier eine Frau oder dort ein Mann mehr verdienen, je nach beruflichen Anforderungen, Position und Verantwortung. Optimistisch macht mich eine junge Generation, die sich mit den althergebrachten Vorstellungen und Unterschieden nicht mehr abfindet und für die Feminismus kein Schimpfwort mehr ist.

Literaturverweis: Lillemeier, Sarah (2018): Sorgeberufe sachgerecht bewerten und fair bezahlen! Unter Mitarbeit von DuEPublico: Duisburg-Essen Publications Online, University Of Duisburg-Essen

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