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Abrufarbeit: „Faires Maß an Planungssicherheit für Mitarbeiter muss gewahrt bleiben“

Bei Arbeit auf Abruf  können Arbeitgeber die Dauer und Umfang der Arbeitszeit kurzfristig festlegen. Aber was bedeutet das Arbeitszeitmodell für den Betrieb und die Beschäftigten? Im Interview berichtet eine Betriebsrätin aus dem Einzelhandel.

Betriebsräte haben Mitbestimmungsrechte beim Einsatz von Abrufarbeit (§ 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG.BAG, Urteil v. 28.9.1988, 1 ABR 41/87) und allgemein der Personaleinsatzplanung im Betrieb. Sie können insbesondere mit darüber entscheiden, ob Abrufarbeit in einem Betrieb eingeführt oder abgeschafft werden soll, und wie Abrufarbeit in einem Betrieb konkret ausgestaltet werden soll – etwa, für welche Mindestanzahl von Stunden pro Tag Beschäftigte in Abrufarbeit herangezogen werden sollen. Betriebsräte sind außerdem für die Durchsetzung der zugunsten der Beschäftigten geltenden Gesetze zuständigen (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG). Dazu zählen auch die einschlägigen Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes zur Abrufarbeit (§ 12 TzBfG), die im Jahr 2019 reformiert wurden. Was dies in der betrieblichen Praxis verändert hat, erläutert die Betriebsrätin eines Einzelhandelsunternehmens mit Filialen unter anderem in Berlin. Ihr Name ist der Redaktion des Arbeitsweltportals bekannt.

Welche Rolle spielt Abrufarbeit in Ihrem Betrieb?

Welche Rolle spielt Abrufarbeit in Ihrem Betrieb?

Mehr als drei Viertel der – überwiegend weiblichen – Beschäftigten in unserer Filiale haben einen Teilzeitvertrag mit flexiblen Arbeitszeiten. Flexibel heißt in diesem Fall entweder, dass sie Jahresarbeitszeitkonten haben, oder, dass lediglich eine Mindestzahl an Wochenarbeitsstunden im Vertrag fixiert ist und die Mitarbeitenden je nach tatsächlichem Arbeitsaufkommen in der Filiale eingesetzt werden. Letzteres ist de facto Abrufarbeit – auch, wenn Beschäftigte mit etwas Vorlauf von ihrem Einsatz erfahren und nicht im Wortsinne „auf Abruf“, also sofort nach dem Anruf aus der Filiale, zum Dienst erscheinen müssen. Als Betriebsrat  ist es unsere Aufgabe, zu verhindern, dass die tatsächlichen Arbeitsstunden der Beschäftigten in diesen Fällen ausufern – was in der Vergangenheit insbesondere in besonders umsatzstarken Zeiten wie rund um Weihnachten oder Ostern passiert ist.

Neue gesetzliche Regeln seit 2019

Für Abrufarbeit gelten seit 2019 neue gesetzliche Regeln. Welche Auswirkungen hatte das in Ihrem Betrieb?

Schon vor der Reform hat ein Gerichtsurteil aufgezeigt, in welche Richtung es geht: Beschäftigte, die auf Abruf arbeiten, sollten nicht weniger als 20 Prozent unterhalb und nicht mehr als 25 Prozent oberhalb der im Vertrag festgeschriebenen Arbeitszeit eingesetzt werden. Als Betriebsrat haben wir die Umsetzung dieser Regel frühzeitig begleitet, überwacht und – wenn nötig – auch durchgesetzt. Unter anderem, indem wir unser Einverständnis zur Personalplanung an ihre Einhaltung geknüpft haben. Heute haben die meisten Mitarbeiterinnen tatsächlich die vertraglichen Stunden, die für sie passen – auch, weil sie mittlerweile Verfügbarkeiten angeben dürfen und damit auch sagen können, wann sie eben nicht einsetzbar sind.

Verhandlungen zwischen Betriebsrat und Geschäftsführung

Welche Aspekte von Abrufarbeit sind aktuell oder waren in der jüngeren Vergangenheit Gegenstand von Gesprächen oder Verhandlungen zwischen Betriebsrat und Geschäftsführung?

In Einzelhandelsfilialen ohne Betriebsrat werden Mitarbeitende leider häufig immer noch teilweise deutlich mehr eingesetzt als ihre vereinbarte Stundenzahl. Ganz aktuell verhandeln wir mit der Unternehmensebene auch darüber, welche Auswirkungen der Trend zu Digitalisierung und Onlinebestellungen auf Arbeitszeiten und Flexibilität der Mitarbeitenden hat. Es werden Filialen geschlossen, dafür sollen Mitarbeitende in den verbleibenden Filialen möglichst noch flexibler einsetzbar sein – so hätte es die Arbeitgeberseite gern. Was nicht passieren darf, ist, dass bestehende Betriebsvereinbarungen zur Arbeitszeit deshalb gekündigt werden, oder dass das Wechselschichtmodell – also eine Woche Frühschicht, eine Woche Spätschicht – wackelt. Ein faires Maß an Planungssicherheit für die Beschäftigten muss gewahrt bleiben!

Lösungsvorschläge von Seiten der Beschäftigtenvertretung

Wie sehen vereinbarte Kompromisse oder Lösungsvorschläge von Seiten der Beschäftigtenvertretung aus?

Uneingeschränkte Verfügbarkeit für den Arbeitnehmer kann nicht das Ziel sein. Kompromisse zu flexiblen Arbeitszeiten funktionieren nur, wenn die Beschäftigten miteinbezogen werden. Die Arbeitszeit ist ein großes Thema, gerade für Mitarbeitende mit Kindern. Eine starre Lösung für alle gibt es hier nicht, denn die Bedürfnisse sind unterschiedlich – während der eine mit 20 Wochenstunden zufrieden ist, sieht es beim anderen komplett anders aus. Hier braucht es im ersten Schritt eine Bestandsaufnahme und den Dialog mit den Beschäftigten: Was braucht ihr, wie finden wir für beide Seiten gute Lösungen? Wenn das ignoriert wird, führt das zu Frustration sowohl beim Arbeitgeber als auch bei den Mitarbeitenden.

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