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Handlungsfeld: Erwerbsformen in der Krise

Die Covid-19-Pandemie hat die Vulnerabilität bestimmter Erwerbsgruppen sehr deutlich gemacht. Dies zeigt sich unter anderem im drastischen Rückgang der geringfügigen Beschäftigung sowie in der finanziellen Notlage vieler Soloselbstständiger, die häufig keine ausreichenden Rücklagen zur Abfederung der Einkommensausfälle besitzen. Die besondere Krisenbetroffenheit ist für den Rat ein wichtiger Anlass, strukturell bedingte Risiken für beide Erwerbsgruppen in den Blick zu nehmen und die Frage aufzuwerfen, wie die Weichen für eine angemessene soziale Absicherung und die Ausschöpfung des Fachkräftepotenzials in Deutschland neu gestellt werden können.

Wesentliche Handlungsbedarfe

  • Minijobs bauen nicht die erhoffte Brücke in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung.
  • Starre Verdienstgrenzen der Minijobs sind inflexibel und behindern die Ausschöpfung des Arbeitskräftepotenzials.
  • Die soziale Absicherung für (Solo-)Selbstständige ist auf den Prüfstand zu stellen.
  • Scheinselbstständigkeit ist kein randständiges Phänomen, sozialpolitisch prekär und verzerrt den Wettbewerb.
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Statements

  • „Die Corona-Pandemie hat sehr deutlich gemacht, dass geringfügig Beschäftigte bei Verlust des Arbeitsplatzes nicht abgesichert sind. Um das Fachkräftepotenzial in Zukunft besser ausschöpfen zu können, müssen wir die derzeitigen Regelungen auf den Prüfstand stellen. Wir brauchen mehr Anreize zur Ausweitung der Arbeitszeit.“
    Ulrich Walwei

    Ulrich Walwei

  • „Scheinselbstständigkeit verzerrt den Wettbewerb in relevantem Umfang. Deshalb braucht es einen klaren Kriterienkatalog: Er kann verhindern, dass Beschäftigten soziale Rechte vorenthalten werden und der Wettbewerb zu Lasten regelkonform agierender Unternehmen verzerrt wird.“
    Stephan Schwarz

    Stephan Schwarz

  • “Soloselbstständige leisten wie andere Erwerbstätige einen wertvollen Beitrag für unsere Volkswirtschaft. Die Corona-Krise hat gezeigt, dass ihre soziale Absicherung verbessert werden muss. Damit kann die Attraktivität selbstständiger Tätigkeiten auch in Zukunft erhalten bleiben.”
    Iwer Jensen

    Iwer Jensen

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Empfehlungen

  • Existierende geringfügige Beschäftigungsverhältnisse genießen Vertrauens- und Bestandsschutz – neu geschlossene Teilzeitbeschäftigungen mit kleinem Arbeitszeitvolumen werden hingegen grundsätzlich steuer- und abgabenpflichtig. Eine niedrigere Bagatellgrenze kann bestehen bleiben.

    Für jene Gruppen, bei denen arbeitsmarktpolitische Erwägungen eine untergeordnete Rolle spielen, sollten eigene Lösungen angestrebt werden:

    • Die gewerbliche geringfügige Beschäftigung von Schülerinnen und Schülern sowie Studierenden könnte gegebenenfalls mit den derzeit geltenden Bestimmungen für die kurzfristige Beschäftigung harmonisiert werden. Optional könnte geprüft werden, ob und in welcher Form (wahlweise/verpflichtend) geringfügig beschäftigte Schülerinnen und Schüler sowie Studierende in die Rentenversicherung integriert werden sollen.
    • Der Rat empfiehlt die Prüfung, welche Arbeitsanreizeffekte von einer verpflichtenden Verbeitragung in der Rentenversicherung bei einer (Weiter-)Beschäftigung und gleichzeitigem Rentenbezug ausgehen können. Dabei ist zwischen vorzeitigem und regulärem Renteneintritt zu differenzieren.
    • Für Tätigkeiten im Ehrenamt und in Privathaushalten sind Lösungen anzustreben, die den derzeit geltenden Rahmenregelungen gleichgestellt sind.

    Die volle Integration geringfügiger Beschäftigung in die Sozialversicherung sollte steuerrechtlich flankiert werden. Die Lohnsteuerklasse V sollte abgeschafft und das Ehegattensplitting grundsätzlich zugunsten einer Individualbesteuerung in Frage gestellt werden. Damit die Stärkung der Arbeitsanreize durch eine andere steuerrechtliche Veranlagung für Personen zur Geltung kommen kann, die aktuell Betreuungsverpflichtungen für Kinder und/oder pflegebedürfte Angehörige wahrnehmen, ist die Kinder- und Pflegebetreuungsinfrastruktur auszubauen. Davon würden derzeit insbesondere Frauen profitieren.

  • Zur besseren Absicherung von Einkommensrisiken soll (Solo-)Selbstständigen der Zugang zu einer freiwilligen Arbeitslosenversicherung erleichtert werden. Nach einer Übergangsphase kann evaluiert werden, ob dies die angemessene soziale Absicherung vor temporären Einkommensausfällen gelöst hat. Im Anschluss wäre zu prüfen, wie weitergehende Schritte in Form einer Versicherungspflicht oder einer Pflichtversicherung fruchten könnten. Dabei sind Sonderregelungen für eine zeitlich begrenzte Gründungsphase in Erwägung zu ziehen. Von einer strukturellen Bevorteilung Selbstständiger gegenüber abhängig Beschäftigten ist jedoch abzusehen.

    Der Rat hat die Sorge, dass das derzeitige Setting das Risiko für viele heute tätige (Solo-)Selbstständige birgt, aus individueller Perspektive im Alter nicht ausreichend für den Ruhestand vorgesorgt zu haben. Wo dies eintreten wird, ist das Risiko groß, dass die Betroffenen auf Leistungen der Grundsicherung oder auf die Absicherung anderer im Haushaltskontext angewiesen sein werden. Der Rat empfiehlt, alle Selbstständigen zur Altersvorsorge zu verpflichten.

    Alle Soloselbstständigen sollen in die gesetzliche Unfallversicherung miteinbezogen werden, um auch sie gegen Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten zu schützen. Ergänzend könnten branchenspezifische Präventionsangebote den Arbeits- und Gesundheitsschutz bei (Solo-)Selbstständigen erhöhen. Darüber hinaus können verhaltens- und verhältnisbezogene Maßnahmen wie zum Beispiel Schulungen zur individuellen Gesundheitskompetenz, Supervision und Vernetzung zu einem besseren Gesundheitsschutz beitragen

  • Der Rat empfiehlt die Einführung eines Kriterienkatalogs. Mit diesem könnte ein Bezugsrahmen formuliert werden, der einen administrativen Aufwand für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sowie für Auftraggeberinnen und Auftraggeber vermeidet. Dieser Katalog würde für alle Beteiligten klare Rahmenbedingungen schaffen.

    Der Rat plädiert überdies für einen Gleichklang von Sozialrecht und Arbeitsrecht. Das bedeutet, dass die Feststellung einer Tätigkeit als sozialversicherungspflichtige Beschäftigung durch ein Sozialgericht unmittelbar zu einem rückwirkenden Inkrafttreten eines Arbeitsverhältnisses führt.

  • Der Rat ist sich bewusst, dass die Auswirkungen einer potenziellen Umsetzung seiner Handlungsempfehlungen von ihrer konkreten Ausgestaltung abhängen. Er empfiehlt daher, Untersuchungen anzustrengen, die eine Evaluation der durch die gesetzlichen Änderungen eingetretenen Wirkungen ermöglichen.

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